1893 -
Altenburg
: Bonde
- Hrsg.: Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
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hatte sich längst eingestellt, bei einem klaren Himmel hatten wir — 20° R.,
und es blies ein scharfer Wind. Plötzlich wurde ich durch einen Ausruf
Braisteds munter. Ich öffnete meine Augen und da ich in seinem Schoße
lag, so blickte ich in die Höhe und sah einen schmalen Gürtel oder eine
Schärpe von silberfarbigem Feuer gerade über meinem Kopfe, deren un-
verbundene Enden sich an den Abhängen des Himmels langsam aus- und
abwärts schwangen. Jetzt begann die Himmelserscheinnng zu schwanken,
indem sie sich, als ob sie ihre Elastizität prüfen wolle, zuweilen langsam,
zuweilen mit einer schnellen, springenden Bewegung rückwärts und vor-
wärts neigte. Nim nahm sie die Gestalt eines Bogens an; dann bewegte
Das Nordlicht.
sie sich wellenförmig, indem sie in ihrer schlangenförmigen Bewegung
glänzte und erbleichte, und bildete endlich einen Schäferhaken, dessen Ende
sich plötzlich von ihm trennte und abfiel, als ob es von einem heftigen
Winde fortgetrieben werde, bis der ganze Gürtel in langen, sich fort-
ziehenden Linien von feurigem Schnee fortschoß. Dann sammelte er sich
wieder in einem Dutzend tanzender Teile, welche wechselweise voranschritten
und sich zurückzogen, hierhin und dorthin, gegen- und übereinander weg-
schössen, in gelben und rosenroten Strahlen aufloderten oder wieder er-
blaßten, und sich tausend wunderbare Streiche spielten, als ob sie durch
irgend eine seltsame Grille geleitet würden.
Wir lagen mit in die Höhe gerichteten Gesichtern schweigend da und
betrachteten dieses wundervolle Schauspiel. Plötzlich rannen die zerstreuten
Lichter, wie von einem gemeinschaftlichen Anstoße getrieben, zusammen,
vereinigten ihre glänzenden Enden, verflochten sie untereinander und fielen