1903 -
Breslau
: Hirt
- Hrsg.: Nowack, Hugo, Steinweller, F., Sieber, Hermann, Rohn, R. A., Paust, J. G.
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
7
Unser Kaiserhaus.
glänzende Siege. Am 3. Juli griff König Wilhelm I. das große österreichische
Heer bei Königgrätz an. Seinem Sohne, dem Kronprinzen, hatte er den
Befehl gesendet, er solle mit seinem Heere so schnell als möglich heranmarschieren
und ihm helfen. Dieser aber mußte mit seinen Soldaten erst einen meilenweiten
Weg..zurücklegen. Aber er kam doch zur rechten Zeit auf das Schlachtfeld, griff
die Österreicher von der Seite her an und führte so den Sieg herbei. — Am
Abende traf ihn sein Vater auf dem Schlachffelde. Der König umarmte seinen
Sohn voll Freude und Dankbarkeit und verlieh ihm zum Lohne einen hohen
Orden. Die Österreicher wurden besiegt, und Preußen wurde um mehrere
Provinzen vergrößert.
Im Jahre 1870 erklärten uns die Franzosen den Krieg. Dem Kron-
prinzen war damals ein Töchterchen geboren worden. Er ließ dasselbe vor
seinem Auszuge schnell noch taufen, wie in jener Zeit mancher Landwehrmanu
(Hesekiel: Grab und Wiege). — Mit seinem Heere errang er viele herrliche
Siege, so bei Weißenburg und Wörth, und half bei Sedan wacker mit, wo
Napoleon und sein ganzes Heer gefangen genommen wurde. Als Anerkennung
für die Tapferkeit und Tüchtigkeit, die er als Soldat und Feldherr bewiesen
hatte, ernannte ihn sein Vater zum General-Feldmarschall. Dieselbe Ehre wurde
seinem Vetter, dem Prinzen Friedrich Karl, zu teil.
3. Der Kronprinz als Volksfreund. Er sorgte eifrig für die Hebung
des Kunsthandwerks. Oft besuchte er Fortbildungsschulen, sorgte dafür, daß die
Handwerker künstlerisch ausgeführte Vorlagen erhielten, und ließ die Erzeug-
nisse des Kunsthandwerkes ausstellen. Früher wurden feinere Eisen-, Holz-
und Lederwaren aus dem Auslande bezogen. Jetzt werden dergleichen auch
bei uns ebenso schon hergestellt, als wo anders. Ja, viele solche Arbeiten
werden sogar nach dem Auslande verschickt. Er war auch ein Freund und
Förderer der Schule, die er oft besuchte; ja, einmal hat er sogar in der
Schule auf seinem Gute Bornstedt selbst unterrichtet. Das ging so zu: Einst
war der hohe Herr, wie er das öfters tat, in die Schule gekommen, um
dem Unterrichte zuzuhören. Da wurde dem Lehrer eine Depesche gebracht, in
welcher ihm mitgeteilt wurde, daß seine Mutter zum Tode erkrankt sei und
sehnlich wünsche, ihren Sohn noch einmal zu sehen. Als der Kronprinz dies
hörte, redete er dem Lehrer zu, daß er bald abreisen möchte, um seine Mutter
noch lebend anzutreffen. Er selbst übernahm den Unterricht und prüfte die Kinder
in der Geschichte.
Auch in vielen andern Fällen bewies sich der Kronprinz hilfreich und freund-
lich. Als einst in einem benachbarten Dorfe in der Nacht Feuer ausbrach, eilte
er herbei, übernahm die Leitung der Löscharbeiten und beschenkte dann noch die
Abgebrannten. — Gern sprach er auch mit einfachen Bürgersleuten und gewann
sich durch seine Freundlichkeit und Güte die Liebe aller, mit denen er ver-
kehrte.
4. Regierungsantritt und Tod. Allerwärts jauchzte man dem hohen
Herrn in Liebe zu. Voll banger Sorge vernahm das Volk die Kunde von der
schweren Erkrankung des Kronprinzen im Frühjahr 1887. Vergeblich suchte er
Heilung in Ems, England und zuletzt in San Remo. Der Tod seines Vaters
rief ihn auf den Thron. — Trotzdem die unheimliche Krankheit dem kaiserlichen
Dulder die schrecklichsten Schmerzen bereitete, so widmete er sich doch mit der
größten Pflichttreue den Regierungsgeschäften. Den Seinen zeigte er sich bis
an sein Ende als liebender Gatte und Vater. Da er nicht mehr sprechen konnte,
so mußte er das, was er ihnen sagen wollte, aufschreiben. Seinem Sohne
Wilhelm, unserem Kaiser, schrieb er in jener traurigen Zeit einmal auf einen
Zettel: „Lerne leiden, ohne zu klagen, das ist das Einzige, das ich dich jetzt
lehren kann!" — Am 15. Juni 1888 erlöste ein sanfter Tod den geliebten
Kaiser Friedrich Iii., der auch in seinem Leiden sich als Held erwiesen hatte.