1903 -
Breslau
: Hirt
- Hrsg.: Nowack, Hugo, Steinweller, F., Sieber, Hermann, Rohn, R. A., Paust, J. G.
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Geschichte. § 1.
D. Wilhelm I. 1. Jugend. Kaiser Wilhelm I., der Großvater unsers
geliebten Kaisers Wilhelm Ii., der Vater Kaiser Friedrichs, wurde geboren
1797 am 22. März. Er war der zweite Sohn Friedrich Wilhelms Iii. und
der Königin Luise. Mit seinem älteren Bruder, dem späteren König Friedrich
Wilhelm Iv., wurde er von seinen Eltern sorgsam erzogen und unterrichtet.
Beide verlebten frohe Knabenjahre, bis 1806 der französische Kaiser Napoleon I.
mit Preußen Krieg anfing. Das preußische Heer wurde geschlagen. Bor
Napoleon mußte die königliche Familie nach Ostpreußen fliehen. Im Frieden
verlor der König Friedrich Wilhelm Iii. die Hälfte seines Landes. Die geliebte
Mutter des Prinzen Wilhelm, die Königin Luise, wurde in jener bösen Zeit
schwer krank, und sie ist nie wieder recht gesund geworden. Die Erziehung
ihrer Kinder war der Königin liebste Beschäftigung. Prinz Wilhelm war
schwächlich und machte ihr dadurch manche Sorge, aber über des Knaben
Sinnesart gab sie ihrer Freude Ausdruck, indem sie schrieb: „Er wird wie
sein Vater: einfach, bieder und verständig." — Als der Prinz 13 Jahre
alt war, da stand er mit tiefem Weh im Herzen an dem Sterbebette seiner
Mutter.
2. Prinz Wilhelm als Held. Im Jahre 1812 zog Napoleon mit seinem
großen Heere nach Rußland und eroberte auch die Hauptstadt Moskau. Aber
die Russen zündeten diese Stadt an. Der Winter rückte heran, und Napoleon
mußte zurückmarschieren. Er verlor fast sein ganzes Heer. Da rief im März
1813.,Friedrich Wilhelm Iii. sein Volk zu den Waffen. Im Bunde mit Russen
und Österreichern besiegte er Napoleon in der großen Völkerschlacht bei Leipzig.
Im Jahre 1814 durfte Prinz Wilhelm an dem Befreiungskriege teilnehmen.
Er zog mit nach Frankreich und nahm an der Schlacht bei Bar an der Aube (ohb)
teil. Sein königlicher Vater sah während derselben, daß ein Regiment beson-
ders große Verluste erlitt und doch standhielt. Da sprach er zu seinem Sohne
Wilhelm: „Reite hin und erkundige dich nach dem Namen des Regiments,
das dort so tapfer kämpft!" Rasch sprengte Prinz Wilhelm zu dem Regimenté,
obgleich die Kugeln rechts und links von ihm einschlugen, fragte nach dem
Namen desselben und der Zahl der Verwundeten und Toten und erstattete dann
seinem Vater Bericht. Für die bewiesene Tapferkeit und Kaltblütigkeit erhielt
er das Eiserne Kreuz. —- Mit Leib und Seele war er Soldat und wurde durch
seine Pflichttreue ein herrliches Vorbild für das ganze Heer.
3. Vermählung und Thronbesteigung. Er verheiratete sich mit der
Prinzessin Augusta von Weimar. Sie ist ihm durch 60 Jahre eine treue Ge-
fährtin gewesen. Als rechte „Landesmutter" gründete sie den „Vaterländischen
Frauenverein". Dieser pflegte im Kriege die Verwundeten und sorgte für die
Frauen und Kinder der ausgezogenen Wehrlente. Auch im Frieden bringt er
Hilfe in Wassers-, Feuers- und Hungersnot. Daneben gründete, leitete und
unterstützte sie viele Vereine und Anstalten, die dazu dienten, Leidende und
Kranke zu pflegen und die Jugend zu erziehen. So ist es ihr gelungen, „viele
Tränen zu stillen, Wunden zu heilen und Kummer zu lindern". Sie starb 1890.
Der Ehe des hohen Paares waren zwei Kinder entsprossen, Kaiser Friedrich Iii.
und Luise, Großherzogin von Baden.
4. Regentschaft und erste Negierungszeit. 1840 starb König
Friedrich Wilhelm Iii., und ihm folgte sein ältester Sohn Friedrich Wil-
helm Iv. (S. h 24.) 1857 erkrankte der kinderlose Friedrich Wilhelm Iv.
an einer unheilbaren Krankheit. 1858 übernahm sein Bruder Wilhelm als
Prinz-Regent die Negierung. 1861 bestieg er nach des Bruders Tode den
Thron. — Er vermehrte sofort sein Heer und führte bessere Waffen ein, z. B.
das Zündnadelgewehr; er wurde bei diesem Werke unterstützt von Otto v. Bis-
marck, v. Roon und v. Moltke. (S. h 25 bl.)