1900 -
Gießen
: Roth
- Hrsg.: Müller, P., Völker, J. A.
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
92 Bilder aus der deutschen Geschichte.
Preußens Demütigung. Preußen war seit dem Frieden von Basel (1795)
neutral gebliebeu. Der friedliebende Friedrich Wilhelm Iii. hatte sich keinem Bündnis
gegen Napoleon angeschlossen, weil er glauben mochte, dadurch seinem Lande den
Frieden erhalten zu können. Er hatte sich sogar bereit finden lassen, einige Landesteile
gegen Hannover, das man England entrissen hatte, an Napoleon abzutreten. Nach
der Schlacht bei Austerlitz warf nun Napoleon die Maske ab und demütigte Preußen
in empfindlichster Weise. Als er nach Vernichtung der französischen Flotte bei Tra-
falgar die Überzeugung gewonnen hatte, daß es ihm nie gelingen werde, das meer-
beherrschende England zu überwinden, gedachte er es dadurch zuin Frieden zu bewegen,
daß er demselben Hannover wieder zurückgebe. Ob Preußen bereit sei, auf Hannover
zu verzichten, danach fragte der Ge-
waltige nicht. Durch absichtliche
Kränkungen, rücksichtslose Grenzver-
letzungen u. dgl. zum äußersten ge-
bracht, erklärte endlich Preußen den
Krieg. Dieser verlies aber sehr un-
glücklich für das Land. In der
Doppelschlacht bei Jena und Auer-
städt wurden die preußischen Armeen
geschlagen, und schon nach zehn Tagen
rückten die Franzosen in Berlin ein.
Die königliche Familie flüchtete nach
Memel (1806). Die Festungen er-
gaben sich mit unerhörter Schnellig-
keit. Nur Kolberg und Graudenz
machten rühmliche Ausnahmen. Das
erstere wurde von Gneisenau, Schill
und dem wackeren Bürger Nettelbeck
verteidigt. Courbiäre, dem Befehlshaber
von Graudenz sagte man, um ihn
zur Übergabe zu bewegen: „Es gibt
keinen König von Preußen mehr!"
„Gut", antwortete er, „dann bin ich
König von Graudenz!" Im folgenden Jahre wurde Preußen nochmals bei Ey lau und
Rußland, das sich inzwischen mit ihm verbündet hatte, bei Fried land geschlagen. Dies
führte zu dem für Preußen so verhängnisvollen Frieden von Tilsit (1807). Preußen
verlor alles Land zwischen Rhein und Elbe und was es von dem früheren Polen
besaß. Ferner mußte es seine Festungen ausliefern, ungeheure Kriegskosten zahlen und
seine Armee'auf 42000 Mann vermindern. Vergebens bemühte sich die edle Königin
Luise, mildere Friedeusbediugungen zu erlangen. Napoleon behandelte sie bei einer
Zusammenkunft anmaßend und verletzend. Aus den preußischen Besitzungen westlich
der Elbe mit Kurhessen und Braunschweig errichtete Napoleon das Köuigreich West-
falen, das er seinem Bruder Hieronymus schenkte. Ein großer Teil Polens wurde
als Herzogtum Warschau dem Kurfürsten von Sachsen überlassen, der zugleich
den Königstitel erhielt.
Österreichs Freiheitskampf (1809). Napoleon hatte den König von Spanien
zur Abdankung gezwungen und dessen Land seinem Bruder Joseph, dem König von
Neapel, gegeben. Aber das spanische Volk wollte sich dem aufgedrungenen Herrscher
nicht unterwerfen, und es entstand ein langer, hartnäckiger Kampf, der Napoleon viele
seiner besten Streiter kostete. Dieser Zeitpunkt schien Österreich geeignet, seine Unab-
hängigkeit wiederzuerlangen. Sein trefflicher Heerführer, Erzherzog Karl, hatte
durch Errichtung einer Landwehr Österreichs Truppenmacht erheblich vermehrt; auch
durfte auf den in Deutschland allmählich erwachenden Volksgeist gerechnet werden.
Aber Preußen seufzte noch unter dem Drucke des Eroberers, und der Rheinbund stand
auf seilen Frankreichs. So stand Österreich allein. Nach mehreren siegreichen Ge-