1909 -
Stuttgart
: Franckh
- Autor: Fischer, R., Baß, J., Seytter, Wilhelm, Manzek, O.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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5. Deutsches Geistesleben im 18. Jahrhundert.
Religiöses Leben, während die katholische Kirche durch den Einfluß der
Reformation eine heilsame Mahnung zur Verbesserung des Glaubens und des
Lebens erhalten hatte, machte der evangelische Glaube nicht die inneren Fort-
schritte, die man von ihm erwarten mußte. Oie lutherische und die refor-
mierte Kirche bekämpften sich gegenseitig und hielten einander die
vermeintlichen Irrlehren vor. Cs war endlich die Kraft des Kirchen-
liedes, die neues Leben hervorbrachte.
Paul Gerhardt dichtete in schwerer
Zeit seine tief empfundenen Lieder, die für
alle Nöte des Lebens, für die Angst des
Gewissens Trost brachten und voll Gott-
vertrauen waren. Tine tiefere innere
Frömmigkeit wurde dann von Spener
und fl u g u ft Hermann F r a n ck e her-
beigeführt- sie sind die Stifter des soge-
nannten Pietismus geworden. Francke
entfaltete zugleich eine reiche Liebestätig-
keit durch die Gründung des hallischen
Waisen Hanfes und legte den Grund
zu einer deutsch-christlichen Dildung in den
damit verbundenen Schulanstalten. In die-
sem Sinne wirkte auch 3 i n z e n d o r f,
der Gründer der Herrnhuter Brüderge-
meinde. Dieser Geistesrichtung gegenüber
stand die Aufklärung, die von Eng-
land und Frankreich her in Deutschland Eingang fand, hauptsächlich durch das
Studium der Naturwissenschaften veranlaßt, wurde nur das für wahr und
richtig anerkannt, was durch Erfahrungen festgestellt und durch Deobachtungen und
versuche bewiesen werden konnte. Nicht die Offenbarung galt als maßgebend, son-
dern die Vernunft, nicht die Überlieferung, sondern das Dewiefene und Nützliche.
Aber nur in Frankreich führte diese Richtung zu einer vollständigen Verneinung
alles Deftehenden und war so eine Mitursache der Revolution,- in Deutschland
ebnete die Aufklärung der Philosophie sweltweisheit) den weg, die durch den
Königsberger Philosophen und Denker Immanuelkant ihren höhenpunkt in
Deutschland erreichte. Er betonte besonders d i e Rl a ch t d e r Pflicht und ver-
focht die Freiheit des sittlichen willens. Seine Lehre ist für Deutschland von großer
Wichtigkeit geworden,- denn die Führer unseres Volkes aus der tiefsten Er-
niedrigung heraus haben aus seinen Schriften ihre Kraft geschöpft.
Wissenschaften und Dichtkunst. In den Wissenschaften und in der Dichtkunst
ist das Erwachen der deutschen Sprache am wichtigsten gewesen. Der
Rechtslehrer Thomasius hielt zuerst seine Vorlesungen in deutscher Sprache;
auch Leibniz trat warm für unsere Muttersprache ein. Der erste deutsche Dichter,
der die deutsche Sprache zu Ehren brachte, ist Klopstock,- noch mehr aber
verdanken wir in dieser Deziehung Gotthold Ephraim Lessing. Er befreite
Realienbuch B. 0
Wolfgang Goethe.
(Photographische Gesellschaft, Berlin.)