1876 -
Berlin
: Wohlgemuth
- Autor: Wirth, Gustav, Theel, F. W.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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schiedenen Eindruck auf unser Gemüth hervorbringen. Im Laub'
Walde, sei es ein reiner Buchen- oder Eichenbeftand, oder sei jj*
aus Eschen, Hornbäumen, Erlen, Hinten, Birken und anderen Lae
hölzern bunt zusammengesetzt — immer ist der Eindruck auf um
ein mehr wohlthuender, traulicher. Die breiten, weit ausgreifende»
Kronen erlauben nicht, daß die Stämme sehr dicht beisamme»
stehen, und immer finden wir zwischen ihnen eine üppige Busu)'
und Kräutervegetation, über die hinweg das Auge meist weit hinew
in die Säulenhallen schweifen kann. In den Wipfeln schallen du
Lieder der Vögel, welche zwischen den gabeligen Zweigen oder w
den Astlöchern ihre Nester bauen, und der Wind rauscht dazu sei'»
kräftigen Ackorde durch die Blüttermassen. Jede Wendung unsere»
Pfades verändert das schöne Waldbild; immer neue Baum
gruppen, immer kühner und abenteuerlicher geschwungene Aeste
wechseln unaufhörlich vor unserem Auge. Wir treten gestärkt uiw
doch auch erheitert aus einem Laubwalde auf die sonnenbeleuchteuj
Ebene hinaus.
Aus einem Nadelwalde — die Volkssprache nennt ihn l»
auch bezeichnend Schwarzwald — treten wir in feierlicher, ernm
Stimmung. Uns umfing in ihm das ewige Einerlei der dia?
gedrängt stehenden, schnurgeraden Stämme, von denen hoch oben
die herabgeneigten Aeste sich zu dem grünen Teppich verschränken,
dessen einzelne Fäden in der Höhe verschwinden; denn Aestche»
und Nadeln sind zu sein, um sie gleich den Blättern der Laubhölm
von unten erkennen zu können. Hoch oben auf dem letzten Triem
der immer und immer nach oben strebenden Bäume sitzt die Amse»
und Drossel und singt ihr weithinschallendes Solo über den stille»
Wald, während unter ihnen die Goldhähnchen und Meisen ihr»
Sümmchen probiren. Der Wind fährt in lang gehaltenen Schwing
gungen über die Millionen feiner Stadeln hin, daß es kein kräftig^
Rauschen giebt, sondern ein ersterbendes, feines Säuseln, welche^
in seinem langgezogenen, ununterbrochenen Tönen an das ve»'
hallende Rauschen ferner Meereswogen erinnert. Im Düster de-
Tannenwaldes grünt kein Busch zu den Füßen der ragend»'
Stämme; nur Moose und Flechten, untermischt mit einigen fein»'
Gräsern und schattenliebenden Kräutern, überziehen den ebenes
Boden, aus dem nichts den Fuß des Wanderers hindert, se^
Schritte immer tiefer in das verlockende Waldesdunkel auf de»
weichen Moospolster zu lenken. Ein behagliches Schauern zi»'!
ihn gedankenlos anfangs immer tiefer hinein, bis es sich allmühl^
in ein leichtes, unheimliches Grausen verkehrt, ob er auch de»
Rückweg aus diesem großartigen Einerlei finden werde, wo ken
abenteuerlich gestalteter Stamm, kein absonderlich kühn geschwung»
ner Ast ihm als Wegzeichen dienen könnte.
Der häufigste Baum in unseren deutschen Schwarzwälder'
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