1908 -
Halle a.S.
: Schroedel
- Autor: Wohlrabe, Wilhelm, Steger, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
lö
müssen sich am Sonntag wohl erkältet haben. Sie bekommen abends
Kamillentee mit Kandis zu trinken, dürfen am Tage nur wenig essen
und nur in den Mittagsstunden, wenn das Wetter ganz warm ist,
im Garten spielen. Aber der Husten will nicht besser werden. Bald
kommt auch der Schnupfen dazu, so stark, daß allen Kindern die
Augen tränen. Das Spielen will gar nicht recht gehen. Karl ist
sehr verdrießlich, und Mariechen und Elisabeth weinen auch oft und
wissen nicht recht warum. Am nächsten Sonntag, als die Mutter
Karl anziehen will, sind seine Arme und Beine, die Brust und das
Gesicht ganz rot. Die Mutter deckt ihn warm wieder zu und schickt
zum Doktor. Der erklärt: „Karl hat die Masern, und Marie und
Elisabeth werden sie auch wohl bald bekommen!" So ist's auch.
2. Zwei Tage später sind die kleinen Mädchen auch am ganzen
Körper rot, und die drei fröhlichen Kinder müssen still im Bette
liegen und dürfen sich gar nicht viel rühren. Die ersten Tage geht
das nun ganz gut, da fühlen sich die Kinder matt und müde und
liegen ganz gern im Bette. Aber wie das Fieber nicht mehr so
stark ist und den Kleinen nichts weh tut, da gefällt es ihnen gar
nicht, still zugedeckt im Bette zu liegen. Vor allen der ungeduldige
Karl ist sehr unruhig und verdrießlich. Er möchte gar zu gern umher-
laufen und spielen; denn er meint, er sei ganz gesund. Die Mutter
ist immer bei den Kindern, Tag und Nacht. Des Vaters Schwester
wohnt jetzt ganz bei ihnen und sorgt für alles, was im Hause ge-
schehen muß, damit die Mutier den ganzen Tag für die Kinder
sorgen und mit ihnen spielen könne. Oft erzählt die Mutter den
Kleinen Geschichten oder liest ihnen vor.
3. Mariechen ist so folgsam und gut, daß sie der Mutter gar
nicht viel Mühe macht. Sie meint auch: „Ich mag wohl ein bißchen
krank sein, dann sitzt meine liebe Mutter immer bei mir und hat gar
nichts Andres zu tun, das ist wunderschön!" Karl ist aber nicht so
folgsam, er wirft oft die Decke ab und weint, wenn er Medizin ein-
nehmen soll. Die Mutter muß zuweilen ein sehr ernstes Gesicht
machen und sagen: „Karl, sei folgsam, ich will es!" ehe er das tut,
was er tun soll. Einmal, als die Mutter auf einen Augenblick das
Zimmer verlassen hat, steigt Karl ganz leise aus dem Bette, läuft
mit seinen kleinen, nackten Beinen zur Wiege und ruft: „Piep! Eli-
sabeth!" Die Mutter, die gerade wieder ins Zimmer tritt, erschrickt
sehr. Sie straft Karl, steckt ihn ins Bett und sagt: „Karl, du
wirst nun gewiß noch länger krank bleiben, weil du nicht folgen
willst!" Sie sieht dabei so traurig aus, daß Karl bitterlich darüber
weinen muß und verspricht, nie wieder so unfolgsam zu sein. Abends
tut ihm sein Kopf weh und sein Leib, und er ist ganz blaß, und alle