1886 -
Münster i.W.
: Aschendorff
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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stet verließ. Kaum war er zehn Schritte gegangen, als die
Königin ihm nachrief: „Freund, komme Er doch noch einmal
her!" Der Alte wankte zurück. „Wie heißt Er, mein
Freund?" fragte die Königin. „Ich heiße Berghof," erwi-
derte dieser, „bin ehemals Sattler in Brandenburg gewesen,
habe Friedrich dem Großen 23 Jahre treu gedient und mei-
nen ehrlichen Abschied als Sergeant erhalten." — „Ohne
Pension?" fragte die Königin, und seine Antwort war: „Ja,
Madame.!" — „Dieser Herr hier," sagte sie nun, indem sie
uns den König hinwies, „sagte zwar, er hätte seine Börse
nicht bei sich; seine Handschrift aber ist so gut als Geld."
Der König, gerührt über diesen eben so gutmütigen als sin-
nigen Einfall seiner liebenswürdigen Gemahlin, ging vom
Fenster zurück, setzte sich an seinen Schreibtisch und kam mit
einem Zettel zurück, worauf die Worte standen:
Dem alten Berghof aus Brandenburg sind zwölf Thaler mo-
natliche Pension aus der außerordentlichen Kriegskasse zu reichen.
Friedrich Wilhelm.
An das Kriegszahlamt in Berlin.
70. Der blinde König.
Was steht der nord'schen Fechter
Schar
Hoch aus des Meeres Bord?
Was will in seinem grauen Haar
Der blinde König dort?
Er ruft, in bitterm Harme
Auf seinen Stab gelehnt,
Daß überm Meeresarme
Das Eiland wiederlönt:
„Gieb, Räuber, ans dem Fels-
verließ
Die Tochter mir zurück!
Ihr Harsenspiel, ihr Lied so süß,
War meines Alters Glück.
Vom Tanz auf grünem Strande
Hast du sie weggeraubt;
Dir ist es ewig Schande,
Mir bengt's das graue Haupt."
Da tritt aus seiner Kluft her-
vor
Der Räuber groß und wild,
Er schwingt sein Hünenschwert
empor
Und schlägt an seinen Schild:
„Du hast ja viele Wächter,
Warum denn litten's die?
Dir die»t so mancher Fechter,
Und keiner kämpft um sie?"
Roch stehn die Fechter alle
stumm,
Tritt keiner aus den Reih'n.
Der blinde König kehrt sich um:
„Bin ich denn ganz allein?"
Da faßt des Vaters Rechte
Sein junger Sohn so warm:
„Vergönn mir's, daß ich fechte!
Wohl fühl' ich Kraft im Arm."
„O Sohn! der Feind ist rie-
senstark,
Ihm hielt noch keiner stand.
Und doch! in dir ist edles Mark,
Ich fühl's am Druck der Hand.