1886 -
Münster i.W.
: Aschendorff
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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Freunde, verlassen ihn zuerst und gehen nicht mit ihm. —
Seine Berwandten und die Genossen seines Glücks
begleiten ihn bis zur Thür des Grabes, weinen und trauern
i nt ihn und kehren wieder zurück in ihre Häuser. — Aber
der dritte Freund, den er im Leben oft am meisten übersah,
das sind seine guten Werke. Sie allein begleiten ihn
znm Throne der Gerechtigkeit; sie gehen voran und sprechen
für ihn und finden Barmherzigkeit und Gnade.
76. Der kleine Friedensbote.
Ein Gerber und ein Bäcker waren einmal Nachbarn, und
die gelbe und die weiße Schürze vertrugen sich auf das beste.
Wenn dem Gerber ein Kind geboren wurde, hob es der
Bäcker aus der Taufe; und wenn der Bäcker in seinem groß-
ßen Obstgarten an die Stelle eines ausgedienten Invaliden
eines Rekruten bedurfte, ging der Gerber in seine schöne
Baum chnle und hob den schönsten Mann aus, den er hatte:
einen Pflaumen- oder einen Apfel- oder einen Birn- oder
einen Kirschbaum, je nachdem er auf diesen oder jenen Po-
sten , auf einen fetten oder mageren Boden gestellt werden
sollte. Am Nikolaustage und am Christabend ging die
Bäckerin, welche keine Kinder hatte, immer zu den Nachbars-
leuten hinüber mit einem Korbe unter dem Arme und teilte
unter die kleinen Paten ans, was ihnen der heilige Nikolaus
oder das Christkindlein unter die schneeweiße Serviette gelegt
hatte. Je mehr sich die Kinder über die reichen Spenden
freuten, desto mehr freuten sich auch die beiden Frauen, und
man brauchte keine Zigeunerin zu sein, um zu prophezeien,
daß sie einander immer gut sein würden.
Aber jeder der beiden Männer hatte einen Hund, der
Gerber, als Jagdliebhaber, einen großen, braunen Feldmann,
und der Bäcker einen kleinen, schneeweißen Mordax. Beide
meinten die schönsten und besten Hunde zu haben. Da ge-
schah es denn eines Tages, daß Mordax ein Kalbsknöchlein
gegen den Feldmann behauptete; er hatte wahrscheinlich ver
gessen, daß es nicht gut sei, einem großen Feldmann etwas
abzuschlagen. Vom Knurren kam es zum Beißen, und ehe
sich der Bäcker voit seiner grünen Bank vor dem Hause er-