1886 -
Münster i.W.
: Aschendorff
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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schwimmen. Es gehören zur Möglichkeit des Fluges freilich
noch andere Erfordernisse; allein die bezeichnete Einrichtung
Per Feder ist doch eins der Hauptersordernisse für denselben.
Durch diese Beschaffenheit der Federn ist der Vogel ferner
in einen eben so weichen als festen Hornpanzer eingehüllt,
welcher die Körperwärme nicht entweichen läßt, ihn vor Ein-
dringen der Nässe schützt und als glatten Körper beim schnellen
Fluge durch die heftig durchschnittene Luft möglichst leicht
hindurchdringen läßt.
19. Das Leben der Singvögel.
Die Singvögel leben sehr vergnügt. Ehe sie noch ans dem
Ei schlüpfen, ist ihnen schon die Wiege bereitet, in der sie groß
gezogen werden sollen. Wenn sie das Ei verlassen, sind sie ent-
weder ganz nackt, oder nur mit einem grauen Flaum bedeckt und
können sich selbst gar nicht helfen. Sie werden dann von den
Alten sehr sorgfältig gefüttert. Sie brauchen nichts zu thun, als,
wenn der Vater oder die Mutter kommt, ihre gelben Schuäbelchen
aufzusperren und zu zwitschern. Dazu deckt sie die sorgliche Mut-
ter des Nachts mit ihren Flügeln zu, daß sie nicht naß werden
und frieren. Sind sie flügge geworden, d. h. sind ihnen die Fe-
dern so weit gewachsen, daß sie fliegen können, so verlassen sie
das Nest und setzen sich auf einen Strauch oder Baum, freuen
sich im Sonnenschein und warten, bis ihnen der Vater oder die
Mutter ein Würmlein, eine Mücke oder ein Käferlein bringt und
in den Schnabel steckt. Denn sich ihre Nahrung selber zu suchen,
dazu sind sie noch zu einfältig. Haben sie endlich auch das gelernt,
und kommt der Winter herbei, so ziehen sie in zahlreicher Gesell-
schaft oder auch einzeln fort, um wärmere Gegenden aufzusuchen
und da zu warten, bis der Winter vorbei ist. Wenn dann die
Knospen der Bäume schwellen, wenn die Büsche und Hecken grün
werden, ziehen sie wieder in ihre alte Heimat. Sie verkündigen
uns durch ihre Wiederkunft den Frühling. Da trifft sie indessen
manchmal ein Unglück. Sie lassen sich nämlich bisweilen von war-
mer Witterung verleiten, zu bald auf die Reise zu gehen. Kom-
men dann im März oder April noch kalte Tage mit Schnee und
Frost, so müssen gar manche von den armen Wanderern erfrie-
ren oder verhungern. Bleibt aber das Wetter warm, so schla-
gen ße in einem grünen Busch oder auf eineni blühenden Baume
ihre Wohnung auf, springen, singen und spielen mit einander nach
Herzenslust. Auch fangen sie an, Grashalme, Stroh, Haare,
Moos, Federn u. s. w. herbeizutragen, um ihren künftigen Jungen
an einem verborgenen Plätzchen ein warmes und weiches Bett' zu
bereiten. Darauf legt das Weibchen Eier und brütet sie aus, wäh-