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1. Lesebuch für Volksschulen - S. 60

1877 - Ruhrort : Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
60 haben ein weicheres Herz. — Da er aber eine Zeit lang bei seiner Tochter gewesen war, wurde sie seiner überdrüssig und sagte, es sei ihr immer Höllenangst, wenn der Vater zur Kirche oder sonst wohin gehe und die hohe Trepp' hinunter müsse; bei der Schwester Lisabeth brauche er keine Treppe zu steigen, die wohne zur ebenen Erde. — Damit er in Frieden wegkam, gab ihr der Alte zum Scheine Recht und zog zu seiner andern Tochter. Und da er eine kurze Zeit bei ihr gewesen war, wurde sie seiner müde und ließ ihm durch einen dritten zu Ohren kommen, ihr Quartier wäre zu feucht für einen Mann, der mit der Gicht geplagt sei; ihre Schwester, die Todten- gräberin, hätte eine überaus trockene Wohnung. Der Alte glaubte selbst, sie könne Recht haben und begab sich vor das Thor zu seiner jüngsten Tochter Lene. — Und als er zwei Tage bei ihr gewesen war, sagte ihr Söhnlein zu seinem Großvater: „Die Mutter sprach gestern zur Base Elisabeth, für dich gebe es kein besseres Quartier, als in einer Kammer, wie sie der Vater grabe." — Ueber dieser Rede brach dem Alten das Herz, daß er in seinen Armstuhl zurücksank und starb. Der Kirchhof nahm ihn auf und ist barmherziger gegen ihn, als seine sechs Kinder, denn er läßt ihn in seiner Kammer ungehindert schlafen seit dieser Zeit. — Darum sagt man im Sprüchwort, daß ein Vater leichter kann sechs Kinder ernähren, als sechs Kinder einen Vater. Stöber. 124. Die alte Waschfrau. 1. Du siehst geschäftig bei dem Linnen Die alte dort im weißen Haar, Die rüstigste der Wäscherinnen, Im sechs und siebenzigsten Jahr. So hat sie stets mit saurem Schweiß Ihr Brot in Ehr' und Zucht gegessen Und ausgefüllt mit treuem Fleiß Den Kreis, den Gott ihr zugemessen. 2. Sie hat in ihren jungen Tagen Geliebt, gehofft und sich vermählt: Sie hat des Weibes Loos getragen, Die Sorgen haben nicht gefehlt. Sie hat den kranken Mann gepflegt, Sie hat drei Kinder ihm geboren; Sie hat ihn in das Grab gelegt Und Glaub'und Hoffnung nicht verloren. 3. Da galt's, die Kinder zu ernähren, Sie griff cs an mit heiterm Muth, Sie zog sie auf in Zucht und Ehren; Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut. Zu suchen ihren Unterhalt, Entließ sie segnend ihre Lieben; So stand sie nun allein und alt. Ihr war ihr heit'rer Muth geblieben. 4. Sie hat gespart und hat gesonnen. Und Flachs gekauft und nachts gewacht, Den Flachs zu feinem Garn gesponnen. Das Garn dem Weber hingebracht; Der hat's gewebt zu Leinewand; Die Scheere brauchte sie, die Nadel, Und nähte sich mit eig'ner Hand Ihr Sterbehemde sonder Tadel. 5. Jhrhemd, ihrsterbchemd,sie schätzt es, Verwahrt's im Schrein am Ehrenplatz; Es ist ihr Erstes und ihr Letztes, Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz. Sie legt es an, des Herren Wort Am Sonntag früh sich einzuprägen; Dann legt sie's wohlgefällig fort, Bis sie darin zur Ruh' sie legen. 6. Und ich an meinem Abend wollte, Ich hätte diesem Weibe gleich Erfüllt, was ich erfüllen sollte In meinen Grenzen und Bereich; Ich wollt', ich hätte so gewußt, Am Kelch des Lebens mich zu laben, Und könnt' am Ende gleiche Lust An meinem Sterbehemde haben! Chamisso.
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