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1. Lesebuch für Volksschulen - S. 71

1877 - Ruhrort : Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
136. Der Preuße Lu Lissabon. Ein Bürgersmann von echtem Schrot und Korn, Der tapfer noch im vor'gen Krieg — als Colberg Belagert ward —, ein Greis, gestritten hat Und jetzt begraben liegt im kühlen Sande — Der alte, wohlbekannte Nettelbeck, War einst als eines Schiffes Capitän In Lissabon — und in bedrängter Lage. Er wußte keine Ladung für sein Schiff Und sah bekümmert in die Zukunft wohl Und dachte trauernd an die lieben Seinen Im fernen Preußenland. — Geladen nun Zu einem Schmaus bei einem Portugiesen, Den kaum er kennt dem Namen nach, geht still Und düstern Sinn's er seinen Weg. Am Markt Erblickt er plötzlich — und er glaubt zu träumen, Traut seinen Augen nicht, den perlenden, Und faßt sich bebend vor Erstaunen an — Erblickt er plötzlich groß vor einem Zelt In voller Pracht zwei preußische Soldaten. Zwei Grenadiere waren's, wie sie damals Gekleidet gingen — majestätisch — steif — Der Zopf nicht fehlte, wie in Erz gegossen, So standen die vor jenem Zelte da, Und auf dem Zelte weht die preußische Flagge. Er denkt bei sich: Die mußt du rasch begrüßen, Tritt auf sie zu, reicht ihnen froh die Hand Und sieht, — daß es Wachspuppen sind, doch schön gebildet, „Ha!" ruft er aus, „wo solch' ein Aushängschild Gewählt ist worden, muß auch mehr noch stecken, Was eines Preußen Herz erlaben kann!" Und zahlt sein Eintrittsgeld — und tritt hinein. Und tritt hinein — und sieht, o welch' Entzücken! (Es war im Jahre siebzehnhundertachzig) Und sieht auf einem Thron den alten Fritz, Zum Sprechen ähnlich. Und die Siegesgöttin Und die Gerechtigkeit umschweben ihn. — Ringsum geschaart steh'n viele Portugiesen Und horchen staunend mit bewegtem Antlitz Den Thaten jenes göttlichen Monarchen, Die ein begeisterter Rhapsode singt. Gar tief ergriffen scheint der ganze Kreis — Da fastet unsern Nettelbeck der Sturm. Ihm pocht das Herz (so drückt er selbst sich aus) Und hämmert ihm gewaltig in der Brust. — Da stürzt er vor und sinkt dem Bild zu Füßen; Gebroch'ne Stimme, Auge voll von Thränen, Gefalt'ne Hände — liegt er auf dem Boden Und jauchzet auf: „Ja preiset, preiset ihn, Er ist mein König, ich bin auch ein Preuße!" Und Jubel tönt durch's Zelt, und jeder drängt Sich näher hin, den Preußen anzuschauen, Drückt ihm die Hand, beneidet ihm den König. Doch Nettelbeck geht stolz zum Zelt hinaus, Umdrängt vom Volk, läßt seine Augen leuchten; Arm, wie er ist, im tiefsten Herzen reich, Und murmelt nur: „Ja, ich bin auch ein Preuße!"
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