1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
- Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
- Auflagennummer (WdK): 28
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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da dieselben gar kein Ende nehmen wollten, hatten die drei mächtigen Nachbarn,
Rußland, Oestreich und Preußen, Stücke weggenommen und ihrem Pändergebiete
einverleibt. Jetzt fand die zweite Theilung Polens statt, und später, 1795,
wurde noch der Rest getheilt, so daß dieses Land, das einst über 1ls,000 Quadrat-
meilen betrug, aus der Reihe der Staaten verschwand.
Friedrich Wilhelm Iii., der Gerechte. (1797—1840.)
53. Preußens Fall.
Noch hatte Preußen Frieden, als Friedrw' Wilhelm den Thron bestieg,
aber rings umher war Kriegsgetümmel. Oestreich, England und Rußland
stritten fortwährend mit Frankreich, und es wollte ihnen nicht gelingen, dies
gährende Reich zur Ruhe zu bringen. Es war aber in diesem Lande ein großer
Kriegsheld aufgekommen, der in der Geschichte wenige seines Gleichen hat:
Napoleon Vonaparte, eines Advokaten Sohn von Corsika. Der bän-
digte nicht nur die Revolution in Frankreich, sondern erfocht auch, namentlich
in Italien, Sieg auf Sieg. Dadurch erlangte er ein solches Ansehen, daß
ihn das Volk 1804 zum Kaiser der Franzosen wählte. Dieser eroberungssüch-
tige, ehrgeizige Mann ließ nur zu deutlich durchblicken, daß er die Absicht habe,
alle Reiche in Europa erst zu schwächen und dann sich zu unterwerfen. Unser
König suchte alles sorgfältig zu vermeiden, was ihn hätte mit Napoleon in
Krieg verwickeln können, und es bestand auch scheinbar zwischen Frankreich und
Preußen Friede; aber auf die Dauer sollte auch Preußen dem Kriege nicht
theilnahmlos zusehen. Napoleon überschritt 1805 den Rhein und zog, ohne
anzufragen, durch die preußischen Fürstenthümer Ansbach und Baireuth,
um Oestreich anzugreifen. Entrüstet Uber diese Anmaßung erlaubte nun auch
der König den Russen, durch Schlesien zum Kampfe zu ziehen, und schloß mit
dem russischen Kaiser Alexander einen Bund gegen Frankreich, dem auch
Oestreich beitrat. Noch suchte Friedrich Wilhelm den Frieden zu erhalten, aber
der stolze Korse trieb es mit seinen Beleidigungen gegen Preußen so weit, daß
der edle König die Schmach und Ungerechtigkeit nicht länger ertragen konnte
und ihm 1806 den Krieg erklärte.
Mit Jubel wurde diese Kriegserklärung im ganzen Lande aufgenommen.
Die Armee des Königs jauchzte, daß sie nun endlich gegen den übermüthigen
Herrscher Frankreichs das Schwert ziehen durfte, und träumte nur von Sieg.
Das preußische Herr sammelte sich an der Nordseite des Thüringerwaldes unter
dem Oberbefehl des 72 jährigen Herzogs von Braunschweig. Noch ehe die
Schlacht gewagt wurde, gelang es Napoleon, das Heer der Preußen zu theilen.
Beide Theile desselben, wovon der eine bei Zena unter dem Prinzen von
Hohenlohe und der andere bei Aucrstädt unter dem Herzoge von
Braunschweig stand, wurde zu gleicher Zeit am 14. Oktober 1806 ange-
griffen, völlig besiegt und zersprengt. Ueber 50,000 Mann verlor der König
an diesem Unglückstage. An die Stelle der früheren Kampfeslust trat sofort
eine Muthlosigkeit, die wie eine ansteckende Krankheit um sich griff. Die ein-
zelnen Heerhaufen zogen sich eiligst und nicht in der besten Ordnung über die
Elbe und die Oder zurück, viele erlitten hier und dort eine Niederlage, oder
mußten sich dem Feinde unter harten Bedingungen ergeben. Vielleicht hätte
alles noch eine bessere Wendung genommen, wenn nur die Befehlshaber in den
Festungen sich wacker gehalten hätten. Aber die Festungen Erfurt, Span-
dau und Stettin übergaben sich dem Feinde bei der ersten Aufforderung:
Magdeburg, das mit einer starken Besatzung versehen war, siel nach kurzer
Belagerung; der Commandant von Küstrin aber wartete gar nicht die Be-
lagerung ab, sondern ging den Feinden entgegen und unterhandelte mit ihnen
vor der Stadt wegen Üebergabe der Festung, er, der noch wenige Tage zuvor
gegen den König geprahlt hatte, er weide sich so lange vertheidigen, bis ihm
das Schnupftuch in der Tasche brenne.