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1. Lesebuch für Volksschulen - S. 373

1877 - Ruhrort : Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
373 57. Bas Veilchen. Draussen an der Hecke, am Bergeshange, dort sitzt das Veilchen im Herbste wie ein Kind, dem Vater und Mutter gestor- den , verlassen und einsam. Kein Mensch mag es suchen. Nie- mand bemerkt es. Es kommt der kalte Winter, Schlossen und Schneeflocken fallen, und der scharfe Wind fährt durch die Berge. Blau-Veilchen hat kein Obdach, keinen Schutz vor dem bittern Froste. Die hohen Büsche, die im Frühlinge schön weiss und roth blühen, die Bosen und Weissdorngesträuche, Buchen und Haseln haben den ganzen Sommer hindurch in schönen grünen Blättern geprangt; nun ist ihr Gewand verschossen und gelb geworden, auch wohl von Würmern und Raupen zerfressen; da werfen sie, wie reiche hohe Herren, die alten Kleider stolz hin- weg. Ihre Knospen haben sie mit harten, glänzenden Schalen umhüllt, sie sind ein guter Schutz gegen den Frost. Das arme kleine Veilchen erhält die abgetragenen Sommerkleider der Büsche als warme Decken im kalten Winter. Mit geborgten und erbete- nen Sachen ist es umhüllt, gleich einem Waisenkinde draussen am Zaun. Doch jetzt kommt der Frühling, und nun wird das arme Veilchen mit einem Male sehr reich. Unten hat es viele feine Wurzeln, die trinken Maitrank — niedliche Blätter breiten sich nach allen Seiten aus, jedes zierlich geformt, wie ein Herz. Adern ziehen durch dasselbe links und rechts; der Rand ist mit kleinen Zähnen versehen; es ist ein feiner Spitzenbesatz an seinem neuen Gewände. Auf dünnem Stiele steht die blaue Blüthe keck und lustig, wie auf einem Bein, fertig zum Frühlingstanz in der Warmen Luft. Fünf Blüthenblätter bilden die Blüthe, fünf Kelch- blätter umschliessen sie aussen. Aus blauer Seide sind die ersten, grün ist der Ueber warf, und die übrigen Blätter bilden das Unter- kleid von gleicher Farbe. Ein goldener Schmuck ist vorn auf der Brust, und einen Sporn hat das untere Blüthenblatt, gleich einem vornehmen Ritter und Herrn. Auch der trotzige Bart fehlt ihm nicht, an den Seitenblättern sitzt ein solcher. Des Veilchens Sporn ist jedoch nicht so grausam, als derjenige des Reiters, der das Pferd blutig ritzt, er ist zart und weich und dient dem Veil- chen jetzt in seinem Reichthums als Vorrathskammer. In den himmeeblauen Saal seiner Blüthe, mit seidenen Tapeten geschmückt, führt eine goldene Pforte; fünf Staubgefässe und ein Stempel bil- den sie; unten ist ein offenes Thor; dunkle Linien auf hellerem Grunde zeigen den ankommenden Gästen den Weg zur reichen Tafel. Honigmale nennt man diese Streifen, denn süsser Honig ist die aufgetragene Speise. Wunderholde Schmetterlinge flattern im Sonnenscheine als vornehme Prinzen dem Veilchen zu; fleissige Bienen eilen verständig summend zu seinem Reichthums; alle
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