1888 -
Berlin
: Reimer
- Autor: Wilmsen, Friedrich Philipp, Pischon, Friedrich August
- Auflagennummer (WdK): 226
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
vorgefallen war, so hatte er die härteste Strafe zu erwarten,
denn sein Vater war sehr strenge, und hatte ihm dies Mal
ausdrücklich gesagt: bestelle ja den Brief recht ordentlich, denn
eö ist mir sehr viel daran gelegen. Heinrich kam endlich aus
den schlimmen Gedanken,, sich durch eine Lüge aus der Noth
zu helfen. Er versicherte also dem Vater auf dessen Frage
mit großer Dreistigkeit, daß er den Brief richtig bestellt habe;
doch schlug ihm das Herz bei dieser Lüge. Als nach zehn
Tagen keine Antwort auf den Brief kam, ging Heinrichs
Vater selbst nach dem Posthause, um sich zu erkundigen, ob
auch der Brief wirklich abgegangen wäre. Wie erstaunte und
erschrak er, als man ihm aus den Büchern zeigte, daß sein
Brief gar nicht abgegeben worden sei. Heinrich sollte nun
gestehen, was er mit dem Briefe angefangen habe. Lange
leugnete er hartnäkkig, daß er ihn nicht abgegeben habe; aber
alö ihm fein Vater versprach, daß er ihm Alles vergeben
wolle, wenn er gestände, was aus dein Briese geworden sei,
so gestand er endlich Allcs. Aber wie sehr musste Heinrich
seine Lüge bereuen, als er hörte, daß er seinem Vater durch
ein früheres aufrichtiges Geständnis; einen großen Verlust,
sich selbst große Angst und Beschämung erspart hätte, und
daß sich dann noch Alles hätte wieder gut machen lassen.
Er nahm sich fest vor, nie wieder zu lügen, und lieber eine
verdiente Strafe zu leiden, als die Unwahrheit zu sagen.
Aber cs dauerte lange, ehe er seines Vaterö Zutrauen wie-
der gewinnen konnte, und dics that ihm sehr wehe.
10. Wer sich muchwillig in Gefahr begiebt, kommt
darin um.
Christian K aß mann war der Sohn armer Aeltern.
Seine Mutter starb, als er erst drei Jahre alt war. Sein
Vater war den ganzen Tag außer dem Hause aus Arbeit,
und konnte sich daher wenig um den Knaben bekümmern. Er
würde also ganz ohne Aufsicht geblieben, und gänzlich ver-
wildert sein, wenn nicht ein gutgesinnter Nachbar, der sich
im Wohlstände befand, den neuntem und wohlgebildeten
Knaben an Kindes Statt angenommen und erzogen hätte.
Aber Christian machte seinen Pflegeältern wenig Freude, denn
er war wild, ungehorsam und faul. Ost warnten und straften
sie ihn, aber er besserte sich immer nur auf furje Zeit. Be-
sonders machte ihnen seine Verwegenheit oft Besorgniß und
Schreck. Kein Baum war ihm zu hoch, er kletterte hinaus