1895 -
München
: Oldenbourg
- Auflagennummer (WdK): 22
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule, Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
104. Die Eule im Volksmunde.
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Sinne gebraucht wird für einen Sonderling, einen sonder-
baren, wunderlichen Menschen. Wenn man sich an das
ausfallende Aussehen der Eulen und die vielen sonstigen
Sonderbarkeiten erinnert, die im Vorausgehenden beschrieben
sind, so wird man sich diese figürliche Bedeutung von Kauz
wohl erklären können, und die Sprichwörter führen alk-
mählich ganz deutlich daraus hin. Schon der Kauz singt
von sich selbst in einem norddeutsch gereimten Versehen:
„Viel' Vögel sind, die hassen mich; ich bin ein Kauz und
acht' es nich."
Es gibt alte und ehrliche Käuze, blödsichtige, feine
und verschmitzte, hochmütige, reiche, trockene, närrische,
schnurrige, sonderbare, wunderliche, komische, und kuriose
Käuze. Einen reichen Kauz heißt man auch „Geldkauz".
Mit Bezug auf die Stimme der Eulen und obwohl
„des einen Eule des andern Nachtigall ist", reimt man:
„Bei Wölfen und Eulen lernt man heulen." Es liegt in
diesem Berschen eine verständliche Hindeutung auf den
Umstand, daß die lichtscheue Eule wegen ihres Aufenthalts
an dunkeln Orten als eingefleischter Finsterling gilt und
in diesem Sinne häufig als Sinnbild des Stillstandes und
des Rückschrittes neben Zopf und Krebs abgebildet wird.
An die Eulen hat sich mancherlei Aberglaube geknüpft,
wozu abermals ihr sonderbares, durch die Stellung ihrer
Augen nach vorne und durch die Federkreise um Augen,
Ohren und Gesicht entstehendes Ansehen, ihre nächtliche
Lebensweise, ihre heulende Stimme und anderes, was be-
schrieben worden ist, viel beigetragen haben. So soll das
sogenannte „Totenkäuzchen" oder „Leichenhuhn" als Todes-
prophet für Kranke gelten, wenn es zur Nachtzeit sich
hören läßt.
„Einsam erinnerte auf hohem Dach die Eule
Ihr todweissagendes Geheule,"
erzählt Schiller und bei einem andern Dichter heißt es:
„Das Käuzlein kreischt und jammert,
Daß der Krank' es ahnend hört."