1885 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 21
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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»49. Dn Gesichtskreis.
i.
In einer ebenen Gegend können wir bei klarem Wetter ein großes
Stück Land überschauen. Unser Auge reicht nach allen Seiten gleich
weit, und so erscheint uns die ganze Fläche als ein Kreis. Weil wir
nur das sehen können, was auf dieser Kreisfläche vorhanden ist, und
weil unser Gesicht nicht über die Grenzen dieses Kreises hinaus reicht,
so nennen wir ihn unsern Gesichtskreis.
Wir befinden uns, wie der Augenschein uns lehrt, gerade in der
Mitte des Gesichtskreises. Eingeschlossen wird derselbe durch den
Himmel, der uns wie ein ungeheures Gewölbe erscheint und die Form
einer hohlen Halbkugel hat. Uber unserm Scheitel befindet sich der
höchste Punkt des Himmelsgewölbes; von diesem Punkte aus senkt es
sich nach allen Seiten, und endlich scheint es auf der Erde zu ruhen.
Die Linie, in welcher der Himmel auf der Erde zu ruhen scheint, ist
die Grenze des Gesichtskreises und muß also eine Kreislinie
sein. Wir nennen sie unsern Horizont.
Nicht immer können wir eine ganze Kreisfläche übersehen. In
bergigen Gegenden ist unser Gesichtskreis eingeschränkt. Wir
können nur bis zu den Spitzen der nächsten Berge emporblicken und
vermögen nicht zu erkennen, was hinter denselben liegt. Darum sagt
man auch von einem Menschen, dessen Erkenntnis nicht weit reicht, er
sei beschränkt oder habe einen beschränkten Gesichtskreis,
und dasjenige, was er mit seinem Verstände nicht zu fassen vermag,
liegt über seinemhorizonte, geht über seinen Horizont
hinaus.
Wenn wir aber auf einen hohen Berg steigen, so erweitert
sich unser Gesichtskreis. Es giebt Berge, von deren Spitze man
20 und mehr Stunden weit nach allen Seiten blicken kann. Es ist
ein hoher Genuß, von dem Gipfel des Blocksberges oder der
Schneekoppe einen so großen Teil von Gottes herrlicher Schöpfung
zu übersehen. Darum scheuen die Reisenden die Anstrengung und den
beschwerlichen Weg nicht und suchen die Höhe zu erklimmen. Schöner
noch ist es freilich, wenn das Auge deines Geistes immer weiter blicken
lernt und du immer weiter kommst in der Erkenntnis dessen, was wahr,
recht und gut und Gott und Menschen wohlgefällig ist. Leider macht
es vielen Menschen, großen und kleinen, zu viel Mühe, diesen Hori-
zont zu erweitern, und der Eifer geht gar bald ganz verloren.
Hast du auch wohl schon einmal versucht, bis zu den Grenzen
des Gesichtskreises vorzudringen? Mit einem Wege von ein paar
Stunden scheint es gethan zu sein- Aber je weiter du schreitest, desto