1881 -
Danzig
: Boenig
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
154. Der Edelknabe des Königs.
Ein berühmter preußischer General war in seiner Jugend
Edelknabe an dem Hofe Friedrichs des Großen. Er hatte keinen
Vater mehr, und seine Mutter nährte sich in ihrem Witwen-
stande kümmerlich. Als guter Sohn wünschte er, sie unterstützen
zu können; aber von seinem Gehalte ließ sich nichts entbehren.
Doch fand er endlich ein Mittel, etwas für sie zu erwerben.
Jede Nacht mußte einer von den Edelknaben in dem Zimmer
vor dem Schlafgemach des Königs wachen, um diesem aufzu-
warten, wenn er etwas verlangte. Manchem war dies beschwer-
lich, und sie übertrugen daher, wenn die Reihe sie traf, ihre
Wachen gern an andere. Der arme Page fing an, diese Wachen
für andere zu übernehmen; sie wurden ihm vergütet, und das
Geld, welches er dafür erhielt, schickte er dann seiner Mutter.
Einst konnte der König in der Nacht nicht schlafen und
wollte sich etwas vorlesen lassen. Er klingelte, er rief; allein
es kam niemand. Endlich stand er selbst auf und ging in das
Nebenzimmer, um zu sehen, ob kein Page da wäre. Hier fand
er den guten Jüngling, der die Wache übernommen hatte, am
Tische sitzen. Vor ihm lag ein Brief an seine Mutter, den er
zu schreiben angefangen; allein er war über denselben eingeschlafen.
Der König schlich herbei und las den Anfang des Briefes, wel-
cher so lautete: „Meine beste, geliebteste Mutter! Jetzt ist es
nun schon die dritte Nacht, daß ich für Geld Wache habe. Bei-
nahe kann ich es nicht mehr aushalten. Indes freue ich mich,
daß ich nun wieder zehn Thaler für Dich verdient habe, welche
ich Dir hiermit schicke." Gerührt über das gute Herz des
Jünglings läßt der König ihn schlafen, geht in sein Zimmer,
holt zwei Rollen mit Dukaten, steckt ihm in jede Tasche eine
und legt sich wieder zu Bette.
Als der Edelknabe erwachte und das Geld in seinen Taschen
fand, konnte er wohl denken, woher es gekommen sei. Er freute
sich zwar darüber, weil er nun seine Mutter noch besser unter-
stützen konnte; doch beunruhigte es ihn zugleich, daß der König ihn
schlafend gefunden hatte. Am Morgen, sobald er zum Könige
kam, bat er demütig um Vergebung wegen seines Dienstfehlers
und dankte ihm für das Geschenk. Der gute König lobte seine
kindliche Liebe, ernannte ihn sogleich zum Offizier und schenkte
ihm noch eine Summe Geldes, um sich alles anzuschaffen, was
er zu seiner neuen Stelle brauchte. Der treffliche Sohn stieg
hernach immer höher und diente den preußischen Königen als
ein tapferer General bis in sein hohes Alter.
Der den Eltern erzeigten Wohlthat wird nimmermehr ver-
gesten werden. «Dir. 3, 16. Pustkuch«,i>Glanrow.