1881 -
Danzig
: Boenig
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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nahm er einen Stock von der Schalter und blies hinein; da flog
mir etwas ins Gesicht, das kitzelte mich ganz entsetzlich. Darnach
blies er noch einmal in den Stock; da flog mir's um die Nase
wie Blitz und Hagelwetter; und wie ich ganz nahe war, da zog
er eine blanke Rippe aus dem Leibe; damit hat er so auf mich
losgeschlagen, daß ich beinahe tot liegen geblieben wäre." —
„Siehst du," sprach der Fuchs, „was du für ein Prahlhans
^ ^ ^ '' Brüder Grimm.
180. Der Rabe und der Fuchs.
Ein Nabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte
Gärtner für die Katzen des Nachbars hingeworfen hatte, in
seinen Klauen fort. Eben wollte er es auf einer alten Eiche
verzehren, als ein Fuchs sich heranschlich und ihm zurief: „Sei
gegrüßt, du königlicher Vogel! Wie sehr freue ich mich, dich zu
sehen; denn an die Schönheit deiner Federn, an die Stärke
deines Schnabels reicht keiner deiner Mitbrüder. Billig dienen
dir daher alle übrigen Vögel. Siehe, Tage lang könnte ich hier
stehen, dich anschauen, dich bewundern, und doch dessen nicht satt
werden."
Der Rabe erstaunte und freute sich innig, für einen Adler-
gehalten zu werden. Ich muß, dachte er, den Fuchs für diese
Lobrede belohnen. Großmütig dumm ließ er ihm seinen Raub
fallen und flog stolz davon. Der Fuchs sing das Fleisch lachend
auf und verzehrte es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte
sich die Freude in Schmerz, das Gift sing an zu wirken und der
Fuchs verendete. —
Möchtet ihr euch nie etwas anderes als Gift erloben, ehrlose
Schmeichler! — Gotthold Ephraim Lessing.
190. Der Fuchs und der Kranich.
Ein Fuchs lud einen Kranich zur Mahlzeit ein. Als der
Kranich kam, da hatte der Fuchs in lauter flachen Schüsseln
allerhand Suppen aufgetragen und sagte zum Kranich, er möge
es sich gut schmecken lassen. Der Kranich aber konnte mit seinem
langen und dünnen Schnabel nichts davon genießen, imd mußte
es mit ansehen, wie der schadenfrohe Fuchs unterdessen mit Wohl-
behagen speiste.
Bald darauf lud der Kranich den Fuchs ein und setzte ihm
die schönsten Leckerbissen in Flaschen mit langem und engem
Halse vor und sagte, nun möchte er nur zulangen und thun,
als wenn er zuhause wäre. Der Kranich hielt seinen langen
Schnabel in die Flasche hinein und aß und trank nach Herzens-
lust. Der Fuchs hatte das Zusehen und ging zuletzt beschämt
davon. Nach Aesop.