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1. Lesebuch für katholische Volksschulen - S. 113

1881 - Danzig : Boenig
113 Zuge. Sie waren aus allen benachbarten Dörfern gekommen; jeder wollte seine Unschuld, seine Trauer und seine Teilnahme be- kunden. Still, ohne laute Klage, nur mit tiefem Weh im Herzen, bewegte sich der Zug den Berg hinan. Der Geistliche hielt eine ergreifende Rede. Zuerst redete er den Entseelten an und sprach: „Aus dem Wege bist du gefallen. Wer weiß, wohin dein Herz sich sehnte, welches Herz dir entgegenschlug. Möge der, der alles kennt und alles heilt, Ruhe und Frieden in die Seele der Deinigen senden! Unbekannt bist du gefallen von unbekannter Hand. Niemand weiß, woher du kamst, wohin du gingst; aber er, der deinen Eingang und deinen Ausgang kennt, hat dich Bahnen hinaufsteigen lassen, die unser Auge nie mißt. Zu welcher Kirche du gehörtest, welche Sprache du redetest, wer mag den stummen Mund fragen? Du stehst jetzt vor ihm, der über allen Kirchen thront, den alle Sprachen nennen und doch nicht zu fassen vermögen." — „Erhebet mit mir eure Hände." fuhr der Geistliche zu den Versammelten fort, und alle hoben die Hände empor. Dann sprach er wieder: „Wir heben unsere Hände empor zu dir, o Allwissender! Sie sind rein von Blut- schuld. Hier im Lichte der Sonne bekennen wir: Wir sind rein von der That. Die Gerechtigkeit wird nicht ausbleiben. Wo du auch weilst, der du deinen Bruder in Waldesnacht erschlugst, das Schwert schwebt unsichtbar über deinem Haupte, und es wird fallen und dich zerschmettern. Kehr' um, so lange es noch Zeit ist. Häufe nicht Frevel auf Frevel; denn einst, wenn sie ertönt, die Posaune des Gerichts ..." Da plötzlich hörte man von der Straße herauf das Posthorn erschallen. Das Lied erklang: „Denkst du daran!" — Alles schwieg und hielt den Atem an. Aus der Mitte der Versam- melten stürzte ein junger Mann nieder und rief: „Ich bin's!" — Nachdem man ihn^aufgehoben, gestand er reumütig seine That, wie er in der ^Ltadt das Geld des Herrn, bei dem er diente, verspielt habe; wie er den Fremden, den er nur nieder- werfen wollte, ermordet habe; wie das Posthorn ihn verwirrt; wie er seine Hand brennend gefühlt, als er sie zum Himmel er- hoben, und wie jetzt dieselben Töne des Posthorns ihm das Ge- ständnis abpreßten. Still, ohne laute Klage, nur mit leisem Weh im Herzen, hatte sich der Zug den Berg hinan bewegt; mit zitternder Seele, Thränen in den Augen, laut das Unheil beklagend, kehrten viele heim. Zwei Menschen waren aus ewig aus der Genossenschaft der Menschen geschieden. B. Auerbach. Lesebuch für katholische Volksschule?!. 8
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