1881 -
Danzig
: Boenig
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
187
Als sie zur Wahl versammelt waren, brachte der Erzbischof
von Mainz den schwäbischen Gra fen Rudolf von Habsburg
in Vorschlag. Der war nicht mächtig an Land und Leuten, aber
ein gar tapferer, kluger und biederer Herr. Auch rühmte man
seine Frömmigkeit. Einst ritt er von seinem Stammschlosse, der
Habsburg im Schweizerlande, zur Jagd aus. Da begegnete ihm
ein Priester, der einem Sterbenden das heilige Abendmahl reichen
wollte. Sein Weg führte ihn über einen Bach, dessen Steg
durch die Gewalt des angeschwollenen Wassers weggerissen war.
Kaum sah Rudolf, wie der Priester sich anschickte, den Bach zu
durchwaten, als er sogleich vom Pferde stieg und den Priester
aufsitzen ließ. Am nächsten Tage brachte dieser das Tier dem
Grafen zurück; der aber sprach: „Das sei ferne, daß ich zu Jagd
und Streit das Roß wieder besteige, das den Leib meines Hei-
landes getragen. Es gehöre dir und sei fortan zu ähnlichen
Diensten bestimmt." — Auch der Erzbischof von Mainz hatte
Rudolfs Freundlichkeit erfahren. Als er in jenen gefahrvollen
Zeiten eine Reise nach Rom machte, geleitete ihn der Graf sicher
über die Alpen. Da sprach der Erzbischof beim Abschiede:
„Wollte Gott, Herr Graf, ich lebte noch so lange, daß ich Euch
den mir geleisteten Dienst vergelten könnte!" Jetzt gedachte der
Bischof dieses Versprechens. Auf seinen Vorschlag wurde Rudolf
zum Kaiser erwählt.
Die Krönung geschah zu Aachen. Als nun die Fürsten dem
neuen Kaiser Treue schwuren, fehlte gerade das Reichszepter,
auf welches der Eid geleistet zu werden pflegte. Da ergriff Rudolf
rasch ein Kruzifix und sagte: „Dieses Zeichen, in welchem wir
und die ganze Welt erlöset sind, wird ja wohl die Stelle des
Zepters vertreten können." Und die Fürsten leisteten darauf die
Huldigung. Nur einer war nicht in Aachen erschienen und wei-
gerte sich, Rudolf als Kaiser anzuerkennen. Das war der mächtige
Böhmenfürst Ottokar, der den Königstitel führte und seine Herr-
schaft weithin über die österreichischen Länder ausgebreitet hatte.
Dem stolzen Manne däuchte es schimpflich, einem armen Grafen,
wie er Rudolf spottend nannte, Gehorsam zu leisten. Aber Ru-
dolf bezwang den Widerspenstigen in einer Schlacht und entriß
ihm Österreich. Er gab dieses Land seinen eigenen Söhnen
und wurde dadurch der Gründer des Habs burgisch-öster-
reichischen Herrscherhauses.
Nach der Besiegung Ottokars richtete sich des Kaisers Sorge
vor allem darauf, Ruhe und Ordnung im Reiche zurückzuführen.
Er durchzog Deutschland von einem Ende zum andern, saß oft
selbst zu Gericht und verhängte strenge Strafen gegen die Frevler
und Friedensstörer. Vorzüglich die übermütigen Raubritter be-
kamen seinen starken Arm zu fühlen. Eine ganze Menge Raub-