1894 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Schulze, Hermann, Kahnmeyer, Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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fliegt der Eimer, hoch in: Bogen
spritzen Quellen Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
fällt sie, in des Speichers Räume,
in der Sparren dürre Bäume,
und als wollte sie im Wehen
mit sich fort der Erde Wucht
reißen in gewalt'ger Flucht,
wächst sie in des Himmels Hohen
riesengroß;
hoffnungslos
weicht der Mensch der Götterstärke,
müßig sieht er seine Werke
und bewundernd untergehn.
91.
Leergebrannt
ist die Stätte,
wilder Stürme rauhes Bette.
In den öden Fensterhöhlen
wohnt das Gra::en,
und des Himmels Wolken schauen
hoch hinein.
Einen Blick
nach dem Grabe
seiner Habe
sendet noch der Mensch zurück —
i greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
Was Feuers Wut ihm auch geraubt,
ein süßer Trost ist ihm geblieben:
er zählt die Häupter seiner Lieben,
und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.
Schiller.
Erntewetter.
Der junge Bauer Krull hatte soeben seinen Rnndgang durch seine Felder
oollendet. Vor ihm stand seine Großmutter. „Dies Jahr," sagte er, „wird sich
die Ernte lohnen. Es wird aber auch Zeit, daß man wieder einmal ordentlich
einheimst. Der liebe Gott war's uns auch eigentlich schuldig." „Nun, nun,"
erwiderte die alte Großmutter, „das klingt ja gewaltig hochmütig, Wilhelm. Aber
dem lieben Gott kannst du nun einmal keine Vorschriften machen."
Zur Zeit aber, wo das Getreide so dringend des Regens bedurft hätte, kam
keiner. Wochenlang blieb es trocken, und traurig stand das Korn ans dem Felde.
Der Bauer grollte, und als ihm die Großmutter in den Weg kam, sagte er:
„Was nützt alles Kirchengehen und Beten! Es hilft alles nichts. Die Sonne
verbrennt alles." „Versündige dich nicht, Wilhelm," mahnte die Großmutter.
„Trägst den Namen eines so frommen Kaisers und redest wie ein ungläubiger
Heide. Wart's doch ab. Es kann ja noch alles gut nierden!"
Endlich nach langem Harren kam auch der ersehnte Regen. Groß und klein
trat vor die Hausthür und erquickte sich an dem Geräusch der niederplätschernden
Tropfen. Aber es regnete und regnete nun ohne Aufhören, wochenlang. Das
Heu verfaulte auf den Wiesen, und das Getreide begann auf dem Felde anszu-
wachsen. Es war recht, recht traurig. Die Großmutter betete halb laut vor
sich hin, daß doch Gott anderes Wetter senden mochte. Der junge Bauer aber
ging grollend und auf das Wetter schimpfend im Hofe umher. Da, gegen Mittag
brach die Sonne durch die Wolken. Geschwind ging er mit den Knechten aufs
Feld und setzte die Garben um. Fast waren sie trocken. Er ließ den Erntewagen
holen. Aber noch ehe er aufladen konnte, fiel ein neuer Regen und durchnäßte das
Korn von neuem.
Als er auf dem Hofe ankam, tobte er wie ein Rasender: „Ich glaube nicht,
daß noch ein Gott im Himmel lebt. Nun ist die ganze Ernte hin! O dieser
verwünschte Regen!" „Versündige dich nicht, Wilhelm," mahnte die Großmutter,
„wir stehen alle in Gottes Hand."
Ein schweres Gewitter nahte. „So, nun geht vollends alles zu Schanden,"
sagte der Bauer ingrimmig und mit bitterem Hohn. „Sprich lieber ein Vater-
unser," bat ihn die Großmutter und zog ihn von seinem Platze am Ofen fort.