1894 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Schulze, Hermann, Kahnmeyer, Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Abrede ging Velten den folgenden Tag nach Schwyz und trug seine und Kaspars
Gründe bor, so gut er konnte. Am Abende kam er wieder zu Kaspar und sagte:
„Die Wiese ist dein, die Richter haben sie dir zugesprochen; ich wünsche dir Glück
Und bin froh, daß wir Nun aufs reine gekommen sind." Aus dem deutschen Jugendgarteu.
206. Die beiden Freunde.
1. Es trafen einmal ans der Wanderschaft zwei Handwerksbnrschen zusammen,
der eine ein Schmied, der andere ein Schneider. Sie reisten miteinander in der
Welt umher, bis sie endlich nach Polen kamen. Ans ihrer Wanderung hatten sie
sich an mancher Höhe, unter manchem kühlen Baume niedergesetzt und schöne,
fromme Lieder miteinander gesungen, sich auch ihre Lebensgeschichte von der Zeit
an, wo sie noch im Röcklein liefen, bis hierher erzählt. Dabei waren ihre Herzen
gegen einander so liebreich geworden, daß sie eine feste Freundschaft schlossen. Sie
teilten fortan alles miteinander, was freilich bald geteilt war, und wo einer dem
andern eine Freude machen konnte, da that er's. Auf einmal aber wurde der
Schmied krank dort im fremden Polenlande und mußte in einem Dorfe liegen
bleiben, wo ihn die Leute so wenig verstanden tute er sie. Da wäre es ihm nun
sehr elend ergangen, wenn sonst niemand geweseit wäre. Aber seilt lieber Freund,
der Schneider, verließ ihn nicht in seiner Not. Er war Tag und Nacht um beu
Krankett und pflegte und erquickte ihn. Er wttßte die wohlhabendett Bäuerinnen
so mitleiderweckend anzugehen, daß er bald da, bald dort eine Schüssel kräftiger
Suppe herausbrachte, und wo die bittenden Blicke und sein erlerntes Polnisch
nicht zureichten, da legte er ein Stück seiner Habschaft dafür hin, ein Stück nach
dem andern. Dafür hatte er aber die herzliche Freude, seinen Kameraden nach
einiger Zeit wieder hergestellt zu sehen. Dieser wußte ihm für die erwiesene Liebe
und Treue nicht genug zu danken und weinte oft aus Liebe und Dankbarkeit und
ans Bekümmernis, daß er ihm seine Sachen nicht wieder ersetzen könne. Der
Schneider aber tröstete ihn dann und sprach: „Was ich dir gethan habe, das habe
ich dem Herrn Jesus gethan; der ist reich genug, alles wieder zu bezahlen; aber
es verlohnt nicht der Mühe."
Die guten Freunde zogen nun in Warschau, die Hauptstadt Polens, ein.
Da bekam der Schmied Arbeit, der Schneider dagegen nicht. Darum mußten sie
sich trennen. Es that beiden im Herzen wehe, wie sie einander zum'letztenmal
die Hand drückten.
2. Dem Schneider ging es von da an übel. Er wanderte beinahe zehn
Jahre kreuz und quer durch die verschiedensten Länder und hatte zuletzt keinen
Strumpf mehr an den Füßett und keine Sohle mehr an den Schuhen. Am Ende
geriet er gar noch unter die Werber, die ihn als Rekruten nach Wien lieferten.
Sie ließen ihn jedoch bald wieder lausen, da sie merkten, daß er den Feinden
nichts weniger als gefährlich werden dürfte; denn er war sehr schwächlich und
fast immer krank. Halbttackend kam er nunmehr nach Sachsen hinein, und weil
er in seinem armseligen Aufzug nirgends Arbeit fand, mußte er endlich betteln.
Da traf es sich, daß er eines Abends in einem Dorfe bei einem Schntied um
einen Zehrpfcnnig ansprach. Deut Meister, welcher mit vier Gesellen arbeitete,
fuhr die Stimme durch alle Glieder. Er sprang an die Thür, hielt dem Bettler
das Licht ins Gesicht und rief: „Je, Bruder, bist du's, oder bist du's nicht?"
Mit unbeschreiblichem Vergnügen erkannte er seinen alten Freund. Da flössen
nun süßere Thränen als vor Warschau dort im Polenlande. Der Schntied, welcher
in diesetn Dorfe eine reiche Witwe geheiratet hatte, brachte den matten, frierenden
Pilgrim in die Stube, legte ihm seine Sonntagskleider an, setzte ihn in den Lehrt-