1894 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Schulze, Hermann, Kahnmeyer, Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Heer führte der General Jork. Als aber Moskau in Flammen aufging und Na-
poleons Armee durch Schnee und Kalte fast vernichtet wurde, da sagte sich Jork
ans eigene Fairst von Napoleon los und schloß mit beit Russen einen Vertrag.
Das tvar ein kühner Schritt. Er setzte daher in einem Schreiben dem König
die Gründe für sein Handeln auseinander und sagte darin: „Ew. Majestät lege
ich tvillig meinen Kopf zu Füßen, wenn ich gefehlt haben sollte. Ich würde mit
der freudigen Beruhigung sterben, wenigstens nicht als treuer Preuße gefehlt zu
haben." Der König billigte zwar im Herzen den Entschluß seines treuen Dieners,
durfte ihn aber nicht gutheißen, da er in Berlin noch von französischer Besatzung
umgeben war. Es erschien daher ein Befehl des Königs, welcher die Absetzung
Jorks aussprach und ihn vor das Kriegsgericht lud. Die Russen fingen jedoch den
Boten mit diesem Schreiben ans, und so blieb Jork in seiner Stellung. An dem-
selben Tage, an dem der König seinen „Aufruf an mein Volk" in Breslau erließ,
zog Jork unter stürmischem Jubel des Volkes in Berlin ein. Nach Freitag, Becker u. a.
g. Das Volk steht auf, ber'sturm bricht los!
Ganz Europa sah in dem grausigen Untergange Napoleons in Rußland das
Strafgericht Gottes. Die Völker fühlten es, daß die Zeit gekommen sei, die Freiheit
wieder zu erringen. Allen voran ging Preußen. Friedrich Wilhelm Iii. ver-
bündete sich mit Rußland und erklärte Napoleon den Krieg. Am Tage darauf
(3. Februar 1813) rief er von Breslau ans sein Volk unter die Waffen. „Es
ist der letzte und entscheidende Kampf, den wir bestehen," heißt es darin. „Keinen
andern Ausweg giebt es, als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Unter-
gang." Der König rief, und alle, alle kamen. Die Hörsäle der Universitäten,
die obern Klassen der Schulen, die Werkstätllm und Schreibstuben verödeten. Jüng-
linge, kaum dem Knabenalter entwachsen, und Männer mit grauen Haaren — alles
eilte herbei zum Kriegsdienst. Der Freiherr von Lützow bildete zu Breslau eine
Freischar, die „Schar der Rache". Zu ihnen gehörte auch der Dichter Körner.
Zahllos waren die freitvilligen Gaben, welche man dem Vaterlande darbrachte.
Ein Graf stellte sich selbst mit seinen drei Söhnen und gab außerdem 10000 Thaler,
5000 Scheffel Getreide, alle seine Pferde und Ochsen. Eine arme Witwe gab ein
neues Hemd, eine andere ihre letzten zehn Thaler; drei Dienstmädchen ihren silbernen
Schmuck und fünfundzwanzig Thaler. 100 000 goldene Trauringe wurden ein-
gesandt. Dafür erhielten die Geber eiserne mit der Inschrift: „Gold gab ich
für Eisen."
Ein glänzendes Beispiel von Vaterlandsliebe gab die sechzehnjährige Ferdinande
von Schmettau. Ihr Vater war früher Oberst eines Regiments gewesen. Er
besaß kein Vermögen und hatte für elf Kinder zu sorgen. Sie war daher nicht
im Besitze von Geld oder Schmucksachen, die sie dem Vaterlande hätte darbringen
können. Das machte sie untröstlich. Endlich entschloß sie sich, ihr schönes Haar
zu opfern. Sie ließ es abschneiden, verkaufte es und gab die dafür gelösten neun
Mark für die Freiwilligen hin. Ein vornehmer Mann aber kaufte Ferdinandens
Haar zurück und ließ daraus allerlei Zierate, wie Ringe, Ketten re., anfertigen
und dieselben verkaufen. Das Verlangen nach denselben war so groß, daß aus
diesen Sachen in wenigen Wochen 3000 Mark gelöst und dann der Kriegskasse
zugeführt wurden.
Zur Auszeichnung für die Helden stiftete der König das „eiserne Kreuz" mit
der Inschrift: „Mit Gott für König und Vaterland." Nach Wà, Pierson u. a.