1894 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Schulze, Hermann, Kahnmeyer, Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Dies wunderbare Ereignis wurde noch denselben Abend in ganz Kelbra
kund. Die Nachbarinnen liefen herzu, die seltsamen Flachsknoten zu sehen,
und den folgenden Tag zog jung und alt auf den Kyffhäuser. Alle suchten,
aber keiner fand die roten und blauen Fensterscheiben, keiner die Spinn-
stube der Prinzessin noch die angehäuften Flachsknoten, und alle schlichen
verdriesslich wieder heim. Lehnen.
293. Das Königreich Sachsen.
1. An der Südostgrenze des Landes liegen das Erzgebirge, die sächsische
Schweiz und das Lausitzer Bergland. Das Erzgebirge bildet auf der säch-
sischen Seite ein zerklüftetes Hochland, das sich allmählich zur Tiefebene hinabsenkt.
Früher wurde hier viel Bergbau getrieben, und in den Flußthälern erblühten
bald die Bergstädte Freiberg, Zwickau und Annaberg. Heute aber ist der
Bergbau nicht mehr sonderlich lohnend. Seitdem man das große Steinkohlenlager
bei Zwickau entdeckt hat, wandte sich die Bevölkerung vielfach der Industrie,
namentlich der Wollweberei iiub -spinnerei zu. In den Thälern reiht sich nicht
selten Fabrik an Fabrik, dichter Qualm umhüllt die Häuser, und das Geklapper
der Maschinen betäubt unser Ohr. Besonders werden hier Handschuhe, Strümpfe,
Mützchen, Flanelle, Teppiche, Kleiderstoffe und noch tausend andere Tinge ver-
fertigt. Infolge dieser Fabrikthätigkeit hat Sachsen die dichteste Bevölkerung in
ganz Europa. Die bedeutendsten Fabrikstädte sind Chemnitz (kemnitz), Glauchau,
Meerane, Reichenbach, Plauen n. a.
2. Die Hauptflüsse Sachsens sind die Elbe, die Mulde und die weiße
Elster mit der Pleiße. Da, wo die Elbe das Erzgebirge durchbricht, führt
letzteres den Namen Elbsandsteingebirge oder sächsische Schweiz. (S. 230.)
Dasselbe wird seiner Schönheit wegen im Sommer viel von Fremden besucht.
An der Elbe liegt die Hauptstadt Sachsens, Dresden (280 T.), und weiter strom-
abwärts Meißen, mit der ältesten Porzellanfabrik in Europa. An der Pleiße
liegt Leipzig, mit den Vororten an 400 000 Einwohner, berühmt durch seine
Messen. Die weite Ebene um die Stadt herum war 1813 der Schauplatz der
Leipziger Völkerschlacht.
294. Die Leipziger Ostermcsse.
Kaum ist Ostern vorüber, so beginnt ein reges Leben auf den Straßen.
Vor allen Gewölben, allen Niederlagen werden Kisten und.kastei:, Ballen
und Fässer abgeladen. Was der Gewerbfleiß vieler Städte und Länder ge-
schaffen, hier findet es seinen Handelsplatz. Zahllose Aufschriften, zum Teil
mit Ortsnamen aus weiter Ferne, bedecken nicht selten die Häuser bis zum
dritten Stock. Welche Massen voll Seide, von Tuch, von Leinwand, von
Leder, von Pelz, wollenen und baumwollenen Stoffen lagern in den Gewölben
zu ebener Erde, im ersten und zweiten Stocke! Allein oder in Begleitung
eines Dolmetschers wandern die Ausländer von Niederlage zu Niederlage.
Man verkehrt hier in deutscher, dort in englischer, in französischer oder
italienischer Sprache. Dieser Jude mit dem langen seidenen Kaftan und der
braunen Pelzmütze ist aus Polen. Für mehr als 300000 Jb hat er schon
eingekauft, aber noch immer wartet er auf neuankommende Ware. Vergnügt
reibt der Fabrikant die Hände. Seine Niederlage ist fast geleert, und reiche
Bestellungen sind für die nächste Messe bei ihm gemacht. Welcher Jubel
dann in den armen Fabrikgegenden, wenn die Arbeiter hören, daß die