1894 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Schulze, Hermann, Kahnmeyer, Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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4. Wahrhaft rührend ist die Mutterliebe, mit der die Ricke das Kälbchen
bewacht. Naht sich in den ersten Tagen, wo das Junge nach sehr hilflos ist,
Gefahr, so sucht sie dieselbe durch allerlei List abzuwenden. Kommt z. B.
ein Mensch in die Nähe des Lagers, so versteckt sie das Junge im hohen
Grase und springt selbst vor, um die Aufmerksamkeit von dem Kälbchen weg
auf sich zu lenken. Dann läuft sie fort, kehrt aber nach einigen Quersprüngen
zum Lager zurück. Schleicht der Fuchs an das Kälbchen heran, so sucht sie
dasselbe mit ihrem Körper zu decken und stampft den Räuber mit den
Vorderfüßen.
420. Der Fuchs.
1. Ter Fuchs ist ein vollendeter Spitzbube und Räuber. Seine Jagd gilt
allem möglichen Getier von dem jungen oder kranken Reh an bis zum Käfer herab.
Er ist aber auch zum Räuber ausgerüstet wie kein zweites Tier bei uns. Das
zeigt uns vor allem sein scharfes Gebiß. Mit einem Ruck beißt er dem Hahn den
Hals ab. Sein Gehör ist so scharf, daß er schon ans hundert Schritt die Maus
piepen oder im Laube rascheln hört, und Mäuse sind seine Hauptspeise. An manchen
Tagen frißt er zwei bis drei Dutzend. Sein Auge sieht gleich dem Auge der Katze
auch im Dunkeln vorzüglich. Daher jagt er auch gern des Nachts, wo ihn niemand
sieht. Dann schleicht er oft an den Hecken des Dorfes entlang. Er kennt die
Gegend, von woher sein scharfes Gehör die Enten hat schnattern und die Hühner
gackern hören. Seine feine Nase führt ihn leicht und sicher zu dem Hühner- oder
Gänsestall. Hier würgt er alles ohne Unterschied. Er beißt den Gänsen und
Hühnern den Hals ab, schleppt sie Stück für Stück fort und verscharrt sie in einem
Versteck, um sie dann in den nächsten Tagen zu verspeisen. Im Herbst kommt er
auch in den Garten und sucht sich Äpfel, Birnen und Weintrauben. — Seine Beine
sind dünn, fast zierlich, aber doch sehr kräftig. Mit ihnen läuft er so schnell, daß
selbst der Hase ihm nicht entrinnt, wenn er nicht einen Haken schlägt und den Fuchs
vorbeischießen läßt. Auch springen kann er vorzüglich.
2. Am Tage, namentlich bei schlechtem Wetter, hält sich der Fuchs meist in
seinem Bau aus. Derselbe liegt sehr versteckt, gewöhnlich in einem Geklüft, zwischen
Wurzeln und an andern günstigen Stellen. Wenn es irgend geht, gräbt sich der
Fuchs den Ban nicht selber, sondern siedelt sich in einem Kaninchen- oder Dachsbau
an. Die Kaninchen frißt er nicht selten aus, den Dachs beißt er hinaus oder stört
ihn so lange, bis er seine Wohnung räumt. Gewöhnlich hat der Fuchsbau eine
Hauptröhre, welche als Eingang dient, und mehrere Seitenröhren, durch welche er
entflieht, wenn er verfolgt wird. Hinten im Ban ist die Kammer oder der „Kessel".
Derselbe hat ein Meter im Durchmesser und ist weich mit Moos und Laub gepolstert.
3. Anfangs Mai wird es im Fuchsbau lebendig. Es liegen jetzt drei bis
sieben Junge darin. Haben sie nach zehn bis vierzehn Tagen ihre Augenlider ge-
öffnet, so führt die sorgsame Mutter die feinen Kinderlein während des warmen
Sonnenscheins ein wenig vor die Thür, spielt mit ihnen, trägt ihnen Vögel, Ei-
dechsen u. s. .w. zu und lehrt sie, die Tiere zu fangen und zu verzehren. Beim
leisesten verdächtigen Geräusch aber trägt -die stets wachsame Füchsin die Jungen
sogleich im Maule in die Höhle zurück. Haben sie die Größe halberwachsener Katzen
erreicht, so liegen sic bei guter Witterung gern morgens und abends vor dem Bau
und erwarten die Heimkehr der Alten. Es giebt keinen anmutigeren Anblick, als
solche Füchslein miteinander spielen zu sehen. Ihre Bewegungen sind so leicht,
behend und geschmeidig, daß selbst junge Katzen plump dagegen erscheinen. Schon
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