1876 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert, Greef, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 26
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Regionen (OPAC): Bayern
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Nase und einen Mund — aber er kann nicht riechen und nicht schmecken, auch
nicht fühlen. — Wer ist es denn, der in uns sieht, hört u. s. w., wenn wir
sagen: Ich sehe, ich höre, ich rieche, ich schmecke, ich fühle — wer ist dieses
Ich? — Dieses Ich ist der inwendige Mensch, unser Geist oder unsere Seele.
Wir können die Seele zwar nicht sehen, wie unsern Körper; denn sie ist un-
körperlich, — unsichtbar. Aber wir erkennen sie aus dem, was sie thut
oder wirkt. Sie ist auf eine für uns unbegreifliche Weise mit unserm Körper
verbunden; er ist ihre Wohnung, ihr Werkzeug; ohne sie ist der Körper todt.
„Und Gott der Herr machte den Menschen ans einem Erdenkloss, und er
blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch
eine lebendige Seele.“ (1. Mose 2, 7.)
2. Wenn wir die Tafel aufheben oder einen andern Körper fortbewegen, so
müssen wir dabei unsern Körper (die Hand rc.) gebrauchen und eine Kraft an-
wenden; diese Kraft nennt man darum Körperkraft. Wenn wir jetzt darüber
nachdenken, was wir heute gelernt haben, so wenden wir dazu auch eine Kraft
an. Aber bet diesem Nachdenken gebrauchen wir keine Hand, kein Glied des
Körpers, keine Körperkraft, sondern eine Kraft unserer Seele. Alle Kräfte
in uns, welche etwas zu thun vermögen, ohne daß der Körper dabei thätig
ist, nennt man Geistes- oder Seelen-Kräfte, Geistes - oder Seelen-Vermögen.
3. Sobald wir des Morgens beim Erwachen die Augen öffnen, fällt das
Licht in unsere Augen. In den Augen spiegeln sich dann die Dinge ab, welche
vor ihnen stehen, und in demselben Augenblicke weiß es unsere Seele, daß es
hell ist, — daß die Dinge da sind. Sobald wir in ein warmes Zimmer
treten, fühlen wir die Wärme der Stubenlust an unserm ganzen Körper, und
zugleich wird unsere Seele sich bewußt, daß es warm ist. Der Schall der
Glocke dringt durch die zitternde Luftbewegung in unsere Ohren, und augenblick-
lich hat unsere Seele das Bewußtsein, daß es läutet. Die angenehmen
Düfte der Blumen sind kaum in unsere Nase gedrungen, so wird die Seele auch
schon gewahr, daß diese Düfte da sind. Berühren wir mit einem Stücke Zucker
unsere Zunge, so empfindet die Seele sogleich, daß der Zucker süß ist. Durch
die Sinne nimmt unsre Seele viele Gegenstände außer uns nach und nach wahr;
sie erhält von den Dingen der Außenwelt und ihren Eigenschaften und Thätig-
keiten Wahrnehmungen oder Anschauungen. Die Kraft der Seele, vermöge
welcher sie zu Anschauungen gelangt, nennt man das Anschauungsvermögen.
4. Ihr Alle habt schon öfter ein Pferd und einen Hund gesehen. Jetzt seht
ihr das Pferd und den Hund nicht — und doch könnt ihr euch recht gut denken,
wie das Pferd und der Hund aussehen. Es hat sich von dem Pferde und dem
Hunde ein Bild eurer Seele eingedrückt oder eingeprägt, ihr tragt es mit
euch umher. Bei dem Worte Pferd oder Hund stellt dieses Bild sich vor eure
Seele: ihr habt eine Vorstellung von diesen Thieren. Eben so können wir
uns von den andern Dingen, die wir gesehen, gehört, oder durch einen andern
der fünf Sinne wahrgenommen haben, wieder denken, wie sie waren; wir können
sie uns im Geiste wieder vorstellen; wir haben Bilder von ihnen in unserer
Seele. — Unsere Seele hat also auch das Vermögen, sich die schon wahrge-
nommenen Dinge wieder vor zu stellen, aus Anschauungen Vorstellungen
zu bilden, und dies Seelenvermögen nennt man das Vorstellungsvermögen.
5. Wir haben Vorstellungen von vielen Dingen, Merkmalen und Thä-
tigkeiten. Wir haben Vorstellungen von dem Orte oder dem Raume, wo die
Dinge sind — von der Zeit, wann sie da sind — und von der Art und
Weise, wie sie etwas thun. Wir haben auch Vorstellungen von dem, was
uns Jemand erzählt hat, oder was wir gelesen haben, und wir können es An-
dern wieder erzählen. Wir können die Lieder, welche wir auswendig gelernt
haben, ohne in das Buch zu schauen, hersagen. Wir können an alle diese Vor-
stellungen denken, uns an sie erinnern und das Erlernte und Gedachte be-
wahren und behalten. Die Kraft, mit der unsere Seele dieses kann, heißt
dos Gedächtniß oder dir Erinnerungskraft.