1904 -
Hildburghausen
: Gadow
- Autor: ,
- Hrsg.: Weidemann, D.
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch
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sich dann einen^ ganz eigenen Freund, den Bnllochsen des Ritterguts.
Die starke Pamimmp dieses Tieres schien auf thw'merstlbesondereu Ein-
druck gemacht zu haben. Er begleitete seinen gehörnten Freund auf die
Weide, besuchte ihn öfter im Stalle, benahm sich mit aller Ehrfurcht gegen
ihn und betrachtete ihn völlig als seinen Vorgeschtem Im Stalle stand
er ganz aufgerichtet neben ihm, als wenn er seine Befehle erwartete. War
der Ochse unter^nnderem Vieh auf dem Hofe, so machte er förmlich seinen
Adjutanten, ging zwei Schritte hinter ihm her, tanzte oft um ihn herum,
machte ihm Verbeuguugeimund benahm sich so drollig, daß es nicht ohne
^ Lachen anzusehen war. Auch der Ochse fing allmählich an, einiges Interesse
^ für ihn zu Meist und ihn wenigstens zu rufen. Dorff nur vor ihm bewies
^ der Kranich wahren Respekt, über alle anderen Tiere des Dorfes maßte
j- er sich die Obep'herrschaffst an. Vorzüglich auf dem Gute machte er den
H Austmtzr und hieltftreng auf Ordnung. Bei der Vichhertzr vertrat er
5 die Stelle des Hirtenhuudes. Unter dem Geflügel litt er durchaus keinen
% Streit, bei der geringsten Fehde eines jeden Bewohners stellte er sich als
Schiedsrimr ein und strafte nach Gebühr. Pferde, Ochsen und Schafe
bekämest derbe Hiebe mit dem Schnabel; Enten und Hühner wurden weit
^ schonender als Gänse und Truthühner behandelt.
Diese und noch eine Menge kleiner von ihm erzählter Züge beweisen,
bis zu welchem vorzüglichen Grade auch Tiere sich in freundlichen Sitten
ausbilden können.
103. Der Star.
Der Star ist schwarz mit grünem oder violettem Schimmer».. Des
Morgens früh sieht man oft große Scharen von Staren, die auf Ackern
und Wiesen sich Regmwüraner, Engerlinge, Heuschrecken und andere Infekten
suchen und damit den Bauern einest"guten Dienst erweisen. Sie fällen
aber arrch. scharenweise über die Kirschbäume imb Weinberge her und
lassen es sich darin schmecken. In: Herbst ziehen sie mit ihren Jungen
zu Tausenden mit argem Geschrei des Morgens früh auf Wiesen und
Vimristen und des Abends ins Schilf, um darin zu schlafen. Der Star
ist em gardnunteres und gelehriges Geschöpf, er lernt Wörter sprechen
und Lieder pfeifen.
Als Knabe besaß ich einen Star, welcher 2 Liedchen pfiff, zwischen
die er immer noch den Stareuaesa§a nebst zehnerlei andern Tönen mischte
und das Wort Spitzbube ganz deutlich aussprach. Drängte man ihn in
eine Ecke und neckte ihn mit dem Finger, so wurde er ganz wütend,
richtete sich aus den Zehen hoch empor, biß nach allen Seiten um sich,^
pfiff aus Leibeskräften und schrie immer dazwischen: Spitzbub, Spitzbrw!,
Spielte ich auf der Wiese, so war Starmaü mit und badete sich im Brm)e;
^.arbeitete ich im Garten, so war er behilflich und suchte Regeuwürmer auf,
7,-saß ich auf dem Kirschbaume und ließ mir's wohlschmecken, so saß er
Uneben mir und pflückte noch fleißiger als ich. Wie ein Hund wußte er
Unreine Mienen zu deuten und meine Worte zu verstehen. Er war sehr
^lecker und suchte immer zum Mmvurmstmezu gelangen. Dieser wurde
daher mit einem Brette bedeckt. Einst wurde es versehen und eine Fuß-
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