1904 -
Hildburghausen
: Gadow
- Autor: ,
- Hrsg.: Weidemann, D.
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch
119
124. Ein Brief Doktor Martin Luthers
an seinen Sohn Hans.
Gnade und Friede in Christo, mein herzliches Söhnchen! Ich sehe
gerne, dass Du wohl lernest und fleissig betest. Thue also , mein
Söhnchen, und fahre fort; wenn ich heim komme, so will ich Dir einen
schönen Jahrmarkt mitbringen. Ich weiss einen hübschen, lustigen
Garten; da gehen viele Kinder innen, haben güldene Köcklein an und
lesen schöne Äpfel unter den Bäumen auf und Birnen, Kirschen, Spillinge
und Pflaumen, singen, springen und sind fröhlich; haben auch schöne
kleine Pferdlein mit güldenen Zäumen und silbernen Sätteln. Da fragte
ich den Mann, dessen der Garten ist, wes die Kinder wären. Da
sprach er: Es sind die Kinder, die gerne beten, lernen und fromm
sind.
Da sprach ich: Lieber Mann, ich habe auch einen Sohn, heisst
Hänschen Luther, möchte er nicht auch in den Garten kommen, dass er
auch solch schöne Äpfel und Birnen essen möchte und solche feine
Pferdlein reiten und mit diesen Kindern spielen? Da sprach der
Mann: Wenn er gerne betet, lernet und fromm ist, so soll er auch in
den Garten kommen, Lippus und Just auch, und wenn sie alle zu-
sammen kommen, so werden sie auch Pfeifen, Pauken, Lauten und
allerlei Saitenspiel haben, auch tanzen und mit kleinen Armbrüsten
schiefsen.
Und er zeigte mir dort eine feine Wiese im Garten zum Tanzen
zugerichtet, da hingen eitel güldene Pfeifen, Pauken und feine silberne
Armbrüste. Aber es war noch frühe, dass die Kinder noch nicht ge-
gessen hatten; darum konnte ich des Tanzes nicht erharren und sprach
zu dem Manne: Ach, lieber Herr, ich will flugs hingehen und das alles
meinem lieben Söhnlein Hans schreiben, dass er ja fleissig bete und
wohl lerne und fromm sei, auf dass er auch in diesen Garten komme;
aber er hat eine Muhme Lene, die muss er mitbringen. Da sprach
der Mann: Es soll ja sein, gehe hin und schreibe ihm also.
Darum, liebes Söhnlein Hänschen, leine und bete ja getrost, und
sage es Lippus und Justen auch, dass sie auch lernen und beten, so
werdet Ihr miteinander in den Garten kommen. Hiemit sei
dem allmächtigen Gott befohlen und grüfse Muhme Lenen und gib ihr
einen Kuss von meinetwegen.
Coburg, Dein lieber Vater
Anno 1530. Martinas Luther.
125. Die Hussiten vor Naumburg.
Nachdem auf der Kirchenversammlung zu Kostnitz der Prager Professor
und Prediger Johann Huß wegen seines freimütigen Tadels der unter
dem Papsttum ausgekommenen Mißbräuche in der Kirche als Ketzer ver-
urteilt und verbrannt worden war (1415), erhoben sich seine Anhänger
m Böhmen, die Hussiten, um den Tod ihres großen Lehrers mit dem