1908 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: Jungandreas, R., Runkwitz, Karl
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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viel mehr Texte. Episteln und Evangelien darin waren, als man
in gewöhnlichen Predigtbüchern und auf den Kanzeln auszu-
legen pflegte. Als er im Alten Testamente sich umsah, kam er
über die Geschichte von Samuel und seiner Mutter Hanna und
durchlas sie eilends mit herzlicher Lust und Freude. Da ihm
das alles neu war, so fing er an, vom Grunde seines Herzens zu
wünschen, unser getreuer Gott wolle ihm dermaleinst auch ein
solches Buch bescheren.
Nach seines Vaters Willen studierte Luther die Rechts-
gelehrtheit; denn er war in allen Stücken seinen Eltern gehorsam
und untertan. Er fand aber eine solche Abneigung gegen den
Beruf eines Rechtsgelehrten in seinem Herzen und ward darüber
von einer so peinlichen Unruhe geängstigt, dass er beschloss,
zu seinen lieben Eltern zu reisen und mit ihnen deshalb zu
sprechen. Her jähe Tod seines Freundes, den er zuvor noch
besuchen wollte, erschreckte ihn dermassen, dass er meinte,
sich vor Gottes Zorn und dem jüngsten Gerichte zu befinden,
und beschloss, ins Kloster zu gehen und ein Mönch zu werden.
Am Abende des 17. Juli (1505), welches der Namenstag seines
Freundes war, gab Luther seinen anderen Gesellen einen Ab-
schiedsschmaus und klopfte in der Nacht an der Pforte des
Augustinerklosters an. Hie Pforte tat sich auf, und Luther
ward Augustinermönch. Er war damals noch ein junges Blut
von zweiundzwanzig Jahren und eitel heisse Jugend mit ihm.
Am anderen Tage nahm Luther von seinen Freunden schriftlich
Abschied und schrieb auch seinen Eltern, wie er nach Gottes
Schickung Mönch geworden sei. Her Vater war übel damit
zufrieden, und erst später gab er seinen Willen dazu und sprach :
„Gott gebe, dass es wohl gerate!“
Zu Anfange wurde Luther in dem Kloster gar hart ge-
halten ; er musste mit dem Bettelsacke in der Stadt umher-
laufen, die Türe hüten, die Glocken läuten, die Kirche kehren
und dergleichen, bis ihm auf die Fürbitte der Hohen Schule,
deren löbliches Mitglied er gewesen war, dieser schwere Dienst
zum Teil abgenommen wurde. Er war in allen Stücken seinen
Oberen gehorsam und den Regeln seines Ordens streng getreu.
Deshalb sagte er von sich selbst: „Wahr ist es, ein frommer
Mönch bin ich gewesen und habe so streng meinen Orden ge-
halten, dass ich sagen darf: Ist je ein Mönch in den Himmel
kommen durch Möncherei, so wollt ich auch hinein gekommen