1908 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: Jungandreas, R., Runkwitz, Karl
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Tränke und den Menschen zur Bereitung ihres Tees, obwohl cs von
dem salzigen Boden den widerlichsten Geschmack angenommen hat.
Nicht einmal die Freude eines täglich reichen Fischfanges genießt der
Bewohner der Hallig. Ein widriges, trübes Gelbgrau ist die gewöhn-
liche Farbe der Gewässer um ihn her; und vor dem Aufenthalte in
einer Meeresstrecke, die bei der Ebbe stundenweit ihren Schlammboden
aufdeckt, hüten sich die Fische und überlassen gern dem Seehund und
der häßlichen Roche das wenig einladende Gebiet.
Doch glücklich die Hallig, wenn hiermit ihr Bild vollständig ge-
zeichnet wäre. Aber es bleibt noch eine furchtbare Seite übrig. Zur
Gewohnheit sind die Überschwemmungen geworden, die, alles flache
Land überflutend, bis an die Werften hinaufsteigen und an die Mauern
und Fenster der Hütten mit ihrem weißen Schaume anschlagen. Da
blicken denn die Wohnungen aus der weiten Wasserfülle nur noch als
Strohdächer hervor; man glaubt es kaum, daß sie menschliche Wesen
bergen, daß Greise, Männer, Frauen und Kinder vielleicht ruhig um
ihren Teetisch her sitzen und nicht einmal einen flüchtigen Blick auf
den umdrängenden Ozean werfen. Manches fremde, aus seiner Bahn
verschlagene Schiff segelte schon in solchen Zeiten bei nächtlicher Weile
über eine Hallig weg, und die erstaunten Seeleute glaubten sich von
Zauberei umgeben, wenn sie ans einmal neben sich ein freundliches
Kerzenlicht durch die hellen Fenster einer Stube schimmern sahen, die,
halb von den Wellen bedeckt, keinen andern Grund als die Wellen
zu haben schien. Aber oft bricht auch zugleich mit der Flut ein Sturm
auf das bange Eiland ein. Die Wasser steigen gegen 5 m über ihren
gewöhnlichen Stand hinauf. Das Meer sendet immer von neuem seine
volle, breite Gewalt gegen die einzelnen Werften, um sie aus seiner
Bahn wegzuschieben. Der Erdhügel, der eine Zeitlang zitternd wider-
stand, gibt nach; bei den unausgesetzten Angriffen bricht ein Stück
nach dem andern ab und schießt hinunter. Die Pfosten des Hanfes,
welche mit Vorsicht ebenso tief in die Werften eingesenkt wurden, wie
sie darüber hervorstehen, werden entblößt; das Meer faßt sie, rüttelt
sie. Der erschreckte Bewohner des Hauses rettet erst seine besten Schafe
hinauf auf den Boden, dann flieht er selbst nach. Und es war hohe
Zeit. Denn schon stürzen die Mauern, und nur noch einzelne Ständer
halten den schwankenden Dachboden, die letzte Zuflucht. Mit furcht-
barem Siegerübermut schalten nun die Wogen im untern Teile des
Hauses; sie werfen Schränke, Kisten, Betten, Wiegen mit wildem Spiel
durcheinander, schlagen sich immer freieren Durchgang und reißen endlich
alles hinaus ans den weiten Tummelplatz ihrer Kraft. Immer wankender