1908 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: Jungandreas, R., Runkwitz, Karl
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bodo genannt, der Riesen allerstärkster und gewaltigster. Die Völker
der Franken und Böhmen beugten sich seiner Macht und gehorchten
seinen Winken und Befehlen. Niemand wagte es, seinem Willen zu
widerstreben.
Einst sah er die schöne Emma, die Tochter des Königs vom Riesen-
gebirge, und ihre Anmut und Lieblichkeit gefielen ihm so sehr, daß er
sie zu seiner Gemahlin zu erheben beschloß. Emma aber lachte des
ungeschlachten Recken, und er konnte sie nicht bewegen, ihm freiwillig
ihre schöne Hand zu reichen. Da dachte er denn auf List und Gewalt
und beschloß, bei erster Gelegenheit die Königstochter zu rauben.
2. Eines Tages jagte Emma auf ihrem vogelschnellen Rosse in
den Schluchten und Tälern des Gebirges, und Bodo bemerkte es.
Sofort sattelte er seinen Hengst, schwang sich hinauf und schwur bei
allen bösen Geistern, die Prinzessin zu fangen, selbst mit Gefahr seines
Lebens. Schnell wie der Sturmwind brauste er heran. Emma in
ihrer Jagdfreude bemerkte das Nahen des Unholdes nicht, bis sie end-
lich seinen Hengst schnauben hörte, sich umsah und zu ihrem Schrecken
den Riesen erblickte, der sich bereits auf eine kurze Strecke ihr genähert
hatte. Wenn sie sich nicht gutwillig ergeben wollte, so mußte sie ihr
Heil in der Flucht suchen. Der Riese, seines Fanges sich schon ver-
sichert haltend, jauchzte laut vor Freuden; Emma aber vertraute auf
die Schnelligkeit ihres Rosses. „Fliege hin, mein Rößlein!" sagte sie,
indem sie ihm freundlich den blanken Hals klopfte, „fliege hin und
säume nicht; denn jetzt gilt es Tod oder Leben deiner Herrin."
3. Und indem sie dem edlen Zelter die Sporen in die Weichen
drückte, setzte sie sich fester in den Sattel und flog dahin wie von den
Schwingen eines Adlers getragen. Schon flogen die letzten Berge des
Riesengebirges vorüber, und fort ging es weiter und weiter, über weite
Ebenen, über Büche und Flüsse, über reißende Ströme. Da steigen
schon die Berge des Thüringer,Waldes empor. Im Nu sind sie erreicht.
Hinauf, hinab braust das Roß in vollem Jagen. Ohne zu ermatten,
rennt es weiter und weiter über fruchtbare Fluren dem Harze zu.
Endlich steht es still. Vor ihm gähnt ein Abgrund wohl 300 Meter
tief, Felsen hüben und drüben, in entsetzlicher Schroffheit senkrecht ab-
fallend in die Tiefe. Von unten her dringt ein entsetzliches Rauschen
in die Höhe. Die Wellen der Bode schlagen zürnend gegen die starren
Granitwände und hüpfen schäumend von Fels zu Fels.
4. Schaudernd blickte Emma in die Tiefe hinab; zitternd maß das
Roß den furchtbaren Abgrund. Keine Rettung scheint möglich; denn
die nächste Felsenspitze jenseits ist über 300 Meter weit entfernt und