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1. Stufe 4 = Schulj. 5 u. 6 - S. 253

1908 - Altenburg : Bonde
253 173. Im Spreewalde. Es ist ein frischer, duftiger Morgen am Anfange des Juni. Die Sonne badet sich in den unzähligen Wasserstraßen, die weite, üppige Wiesenflächen und fruchtbare Felder wie die Maschen eines Netzes kreuzweise durchziehen. Schnell und lautlos gleitet unser Kahn über das blitzende Wasser dahin; ein kräftiger, schmucker Bursche steht am Hinterteile des Fahrzeuges und schiebt es mit einer langen Stange geschickt weiter. Wir sind im wendischen Spreewalde. Wir gleiten an einzelnen zerstreut liegenden Bauernhäusern vorüber, die höchst schmuck- los aus Holz gezimmert und mit Rohr bedeckt sind. Die Bewohner sind fast sämtlich auf den Äckern tätig. Es sind derbe und frische Kerngestalten mit blondem Haare, blauen Augen und runden, gutmütigen Gesichtern. Die Männer sind in grobe, graue Leinwand gekleidet. Die Tracht der Frauen ist malerisch bunt: rot und blau und gelb ge- streifte Röcke, ein eng anschließendes Mieder, weiße, aufgeschürzte Hemd- ärmel und ein rot und gelb geblümtes Busen- und Kopftuch, leicht zum Schutze gegen die Sonne um den Kopf geschlungen. Aus Schuhe und Strümpfe verzichtet der Spreewälder während des ganzen Sommers. Diese Leute sind spärliche Reste des einst so mächtigen wendischen Volksstammes. Sie sprechen heute noch die Sprache, welche ihre Väter vor tausend Jahren geredet haben, und halten an den Sitten und Ge- bräuchen der Altvordern fest. Die Wildnis, welche vor Zeiten der Spreewald war, urbar zu machen, hat viel Arbeit gekostet. Die un- zähligen Gräben mußten mit dem Spaten gegraben und abgedämmt werden, um den Sumpfboden trocken zu legen. Dadurch sind die fettesten Wiesen, das fruchtbarste Gartenland entstanden. Die Zwiebeln, Gurken und der Meerretüch des Spreewaldes sind weit und breit gesuchte Ware. Auch die Wiesen bringen viel ein, das Spreewaldheu geht sogar bis Berlin. Im Winter stehen alle Wiesen voll großer Heu- haufen. Wenn das Eis trägt, kommen die Händler zu Schlitten und kaufen die Vorräte auf. Wir gleiten unter uralten, hohen Bäumen dahin; mächtige Eschen und Buchen, Erlen und Eichen schlingen ihre grünen Zweige zum kühlen, lufügen Dache ineinander und spiegeln sich üef unten im dunkeln, feuchten Blau wieder. Schlanke Weiden neigen sich über das Ufer und spielen mit den selben Blütenzweigen in der Flut. Die Waldeinsamkeit hallt wider von dem Jubel der Vögel. Am Wasserrande sitzt ein wendisches Mädchen in sauberer Volkstracht.
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