1908 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: Jungandreas, R., Runkwitz, Karl
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
290
erzählen G-rossvater und Grossmutter den horchenden Enkeln
gern die Erlebnisse ihrer Jugend. So trägt die Linde mit Recht
ihren wohlklingenden, traulichen Namen; sie nimmt am Familien-
leben gleichsam innigen Anteil; sie gehört mit zum Daheim,
und ältere Leute wissen davon zu sagen, wie ihnen der Duft
der Lindenblüte wohl zuweilen die süssesten Erinnerungen an
die Stätten ihrer Heimat erweckt hat.
Bei aller Grösse und Pracht ihres Wuchses hat die Linde
doch etwas Zartes, Weiches und Mildes. Ihre reiche Blattfülle
rundet sich immer schön ab; auch das einzelne Blatt ist weich,
herzförmig und gibt wegen des längeren Stieles dem leisesten
Luftzug nach. Daher säuselt die Linde, und diese sanfte Musik
stimmt vortrefflich zu dem Summen der Bienen, die sich aus
ihren zarten Blumen den goldgelben Blumenstaub holen. Wie
ganz anders steht die kernige, markige Eiche da, die ihr sonst
an Alter und mächtiger Grösse so ähnlich ist! Grube.
197. Bon den Knospen.
Wir brechen vor Entfaltung der Blüten und Blätter Zweiglein
von verschiedenen Bäumen. Deutlich noch sehen wir die Narben, welche
die Blätter hinterließen, als sie im vergangenen Herbste bei den rauhen
Sturmwinden vom Baume sielen. Über jeder Narbe aber hat sich
schon im vorigen Spätsommer eine Knospe gebildet, in welcher wohl-
verwahrt Blätter, Blüten oder Triebe des nächsten Jahres schlummern.
Braune, lederarüge Schalen umschließen die zarten Gebilde so eng und
dicht, daß ihnen selbst die grimmigste Külte nichts anhaben kann. Be-
rühren wir die Knospen mancher Bäume (z. B. die der Roßkastanie)
im Frühjahr, so bemerken wir, daß sie klebrig sind. Diese klebrige
Masse (ein harzartiger Stoff) wird von kleinen Härchen (Drüsenhaaren)
ausgeschieden. Sie dient dazu, die Knospenschuppen noch fester mit-
einander zu verkleben und so das Eindringen der Kälte und Feuchtig-
keit um so mehr zu verhindern. Sobald nun der Saft im Frühjahr
in die Bäume steigt, gelangt er auch an die Knospen. Sie schwellen
an. Die Hülle zerplatzt, die Schuppen werden abgestoßen — und die
jungen Blätter und Blüten dringen hervor. — Zuweilen aber werden
die zarten Sprossen durch Nachtfröste oder durch Raupen wieder ver-
nichtet. Doch auch in diesem Falle bleiben die Zweige nicht kahl.
Unter der Rinde liegt nämlich bei jeder Knospe noch eine sogenannte
Schlafknospe verborgen, die sich nur dann entwickelt, wenn die Haupt-
knospe durch irgend einen Umstand vernichtet worden ist.