1876 -
Leipzig
: Siegismund u. Volkening
- Autor: Lange, Karl, Weber, Hugo, Schillmann, Hermann, Jütting, Wübbe Ulrich
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
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aus den Thoren, um zu spähen, ob ein Trupp heranreite. Als
endlich ihre Ankunft verkündet wurde, strömte Alt und Jung
auf die Strassen. Mit fröhlichem Zurufe wurden sie bewillkomm!,
eifrig trugen die Bürger herbei, was das Herz der Fremden er-
freuen konnte; man war der Ansicht, dass Brantwein, Sauerkraut,
Heringe ihrem nationalen Geschmacke am meisten entsprechen
würden. Alles an ihnen wurde bewundert, ihre starken Voll-
bärte, das lange, dunkle Haar, der dicke Schafpelz, die weiten
blauen Hosen und ihre Waffen: Pike, lange türkische Pistolen,
oft von kostbarer Arbeit, die sie in breitem Ledergurt um den
Leib trugen, und der krumme Türkensäbel. Entzückt sah man,
wenn sie sich auf die Lanze stützten und behend über das dicke
Sattelkissen schwangen, das ihnen zugleich als Mantelsack diente,
oder dann die Lanzen einlegten und ihre mageren Pferde mit
lautem Hurrah antrieben. Und wenn sie gar ihie Lanze mit
einem Riemen am Arme befestigen und dahintrotteten, den Kant-
scliu, das Staunen der Jugend, in der rechten Hand schwin-
gend — dann trat jeder zur Seite und sah ihnen achtungsvoll
nach. Auch ihre Reiterkünste entzückten. Im Carriere beugten
sie sich zur Erde und hoben die kleinsten Gegenstände auf. Im
schnellsten Ritte drehten sie die Pike wirbelnd um den Kopf
und trafen sicher den Gegenstand, nach dem sie zielten. Das
frohe Erstaunen wich bald vertraulichen Empfindungen. Schnell
gewannen sie das Herz des Volkes. Sie waren besonders freund-
lich gegen die Jugend, hoben die Kinder auf ihre Pferde und
ritten mit ihnen auf dem Platze umher. Jeder Knabe wurde
Kosak oder doch Kosakenpferd. Freilich wurden einige Ge-
wohnheiten der heldenhaften Freunde empfindlich, sie hatten die
Unart zu mausen, und in ihren Nachtquartieren merkte man’s
handgreiflich, dass sie gar nicht säuberlich waren. Dennoch
blieb ihnen bei Freund und Feind noch lange ein phantastischer
Schimmer, selbst als sie sich in den Kämpfen, die jetzt unter
civilisirten Menschen geführt wurden, als räuberisch, unzuver-
lässig und wenig brauchbar erwiesen. Als sie später aus dem
Kriege heimkehrten, bemerkte man, dass sie sich sehr verschlim-
mert hatten. O. Freytag.
37. An mein Volk.
So Wenig für mein treues Volk, als für Deutsche bedarf es einer
Rechenschaft über die Ursachen des Krieges, Welcher jetzt beginnt; klar
liegen sie dem unverblendeten Europa vor Augen. Wir erlagen unter
der Uebermacht Frankreichs. Der Friede, der die Hälfte meiner Unter-
thanen mir entriß, gab uns seine Segnungen nicht, denn er schlug uns
tiefere Wunden, als selbst der Krieg. Das Mark des Landes ward ans-
gesogen. Die Hauptfestungen blieben vom Feinde besetzt, der Ackerbau
ward gelähmt, so wie der sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß unserer
Städte. Die Freiheit des Handels war gehemmt, und dadurch die Quelle