1875 -
Leipzig
: Siegismund u. Volkening
- Autor: Lange, Karl, Weber, Hugo, Jütting, Wübbe Ulrich, Schillmann, Hermann
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
20
Da das Schlachtenglück sich wendete, schritt er zurück mit seinem
Gesinde, das ihm folgte auf dem Kriegspfade von Land zu Land;
langsam und zornig wie ein brummender Bär wich er zum Ufer,
wo am Fusse des Felsens die Kähne lagen. Dort trieb er zu-
sammen die Frauen des Heeres, die Schicksalsverkünderinnen, die
Blutbesprecherinnen, und zwang sie zur Abfahrt, dass die heiligen
Mütter dem Schwerte der Römer entrannen. Auch den Sänger
drängte er hinab in den Kahn, und er selbst umschanzte hoch-
herzigen Sinnes die Stelle der Abfahrt mit Waffe und Leib. Ge-
löst war das Leitseil, die Kähne schwebten, umschwirrt von den
Speeren der Römer, auf grüner Flut; die Feinde drängten, und müh-
sam kämpfte die Schar am Fusse des Felsens den letzten Kampf.
Da schaute der Held auf dem Steine über seinem Haupte den
Drachen des Cäsar, den grimmigen Wurm, und im Sprunge durch-
brach er die Wachen des Römers; er sprang auf den Stein, mit
Bärengriffe fasste er den Riesen, der das Banner trug, und warf
ihn vom Felsen. Leblos tauchte in die Fluten der Römer, und
das Banner erhebend, rief der Held gewaltig den Schlachtruf und
sprang mit dem Drachen hinab in den Strom. Ein Wuthgeschrei
gellte aus Römermunde; die bittere Schmach vor den Äugendes*
Cäsars zu rächen, den Kühnen zu schlagen, das heilige Zeichen
der Römer zu retten, warf Mann und Ross sich wie toll in den
Strom. Doch abwärts trieb im wirbelnden Strome der rothe Drache
und der siegreiche Held. Noch einmal sah ich den Arm ihn heben
und schütteln das Banner, dann sah ich ihn nimmer. Der Cäsar
liess suchen an des Stromes Rande auf beiden Ufern mit trübem
Sinn; zwei Tage darauf fand weit abwärts ein Späher am Ala-
mannenufer den Bannerspeer; den Drachen des Feindes brachte
keiner zurück. Da kehrte den Männern an den Ufern des Rheines
der Muth in die Seelen, der Siegeszauber des Cäsars war im
Strome verloren, und vergeltendes Unheil nahte dem Römerheere.
Gesandte der Katten, die aufwärts kamen, um dem Römervolk
Bündnis zu bieten, sie hemmten die Reise, da sie erfuhren das
böse Vorzeichen. Gerochen war der Hohn des Siegers durch
starken Arm und geschwunden von der Männererde König Ingo,
der Held.“
Der Sänger schwieg und beugte das Haupt über das Saiten-
spiel; still war es in der Halle, wie nach einer Todtenklage, die
Augen der Männer glänzten, und in den Gesichtern arbeitete die
Bewegung, aber in keinem mehr als in dem des Fremden. Da
der Sänger eintrat und im Vorübergehen sein Gewand berührte,
hatte er das Haupt niedergebeugt und, wie sein Nachbar Wolf
ohne Freude wahrnahm, an dem Berichte des Säugers weniger
Theil genommen, als einem Krieger schicklich war, und die Bank-
genossen hatten auf ihn gewiesen und spottende Worte getauscht.
Als aber der Sänger von dem Kampfe um das Drachenbild begann,
da hob er das Antlitz, ein rosiges Licht flog über seine Züge und
so strahlend und verklärt war der Blick, den er nach dem Sänger