1875 -
Leipzig
: Siegismund u. Volkening
- Autor: Lange, Karl, Weber, Hugo, Jütting, Wübbe Ulrich, Schillmann, Hermann
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
26
Tode geschlagen, hat er mich so zerhauen, daß auch mein Leben nur
noch kurze Zeit währen kann."
Als Ecke nach dem Namen des Verwundeten fragte, nannte sich
dieser Helferich von der Lune. Darauf fragte Ecke weiter nach Diet-
riches Größe und Aussehen, ob er nicht auch schon graue Haare habe,
und erzählte dann, daß er von drei Jungfrauen gesandt sei, um ihn
nach Köln zu holen. Da sprach aber der Wunde: „Ich habe noch nie
einen kühneren Mann gesehen als Dietrich, und ein ganzes Heer
möchte wohl nicht hinreichen, um ihn zu bekämpfen. Sein Antlitz ist
schön und seine Gestalt schrecklich, sein ganzer Leib aber ist mit Stahl
lntb Eisen bedeckt, so daß ich euch über die Farbe seiner Haare nichts
sagen kann. Wenn ich euch jedoch einen guten Rath geben soll, so
sucht den Helden nicht auf. Ob ihr auch größer seid, als er, so
werdet ihr doch nichts gegen ihn ausrichten. Sein Schwert ist so
gnt, daß auch eine Mauer, wenn er auf sie schlüge, davon in Stücken
gehen müßte."
Ecke ließ sich dadurch nicht beirren und meinte: „Du kennst mich
nicht, sonst würdest du anders sprechen. Auch ich trage ein gutes
Schwert, das ist wohl mehr werth als ein ganzes Land, und mit dem
will ich deiner Freunde Tod und dich selbst an dem Berner rächen."
Der Verwundete sah, daß sein Warnen umsonst war, und sprach
daher: „So nehmet, Herr, wenigstens mein Roß, das dort angebun-
den steht. Es ist ein gutes Roß und mit ihm werdet ihr den Berner
bald eingeholt haben." Wie das Roß der Königin Seebnrg, so ver-
schmähte Ecke auch dieses. „Laß nur dein Roß," sprach er, „mich
vermöchte es doch nicht zu tragen, und dir kann es vielleicht noch
nützen, wenn du von deinen Wunden genesen solltest. Zeige mir aber
die Richtung, nach welcher sich der Berner entfernt hat, damit ich ihm
nun nacheile."
Der Wunde zeigte dem kühnen Läufer den Weg, dann bat er
noch, daß Ecke die Rosse seiner drei Freunde, die nicht weit von dem
Orte an einen Baum angebunden waren, losbände, damit sie nach
ihrem Belieben im Walde grasen könnten und vielleicht doch noch
jemand zu Nutzen kämen. Ecke that, wie der Wunde gebeten; des
Wunden Roß ließ er aber angebunden, damit dieser es leicht erlangen
könnte, wenn er seiner doch noch bedürfte. Schließlich verband er,
obgleich er wenig davon verstand und so gut es gehen wollte, die
Wunden des armen Zerschlagenen; dann schied er von dannen, mit
großen Schritten dem Berner nacheilend.
Immer dichter und dunkler ward der Wald, durch den Ecke dem
Berner nachlief. Nur die Panzer und Helme durchleuchteten das
Dunkel, und der Glanz von Dietriches Helme war endlich auch der
.Leitstern, der Ecken auf die rechte Fährte brachte.
Dietrich bemerkte ebenfalls, daß es im Walde plötzlich heller ward
als gewöhnlich. Er ahnte aber nicht, daß dieser neue Glanz von einem
Gegner ausströme, der ihn verfolgte; er meinte vielmehr, all' dieser
Glanz entströme seinem eigenen Helme. Darum sprach er zu diesem:
„Wie herrlich leuchtest du heute! Wahrlich, die Hand, die dich geschmie-