1875 -
Leipzig
: Siegismund u. Volkening
- Autor: Lange, Karl, Weber, Hugo, Jütting, Wübbe Ulrich, Schillmann, Hermann
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
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dürft, und endlich kam eine kleine Welle entschlossen hervorgesprungen.
Nun zeigt sich die gewöhnliche Erscheinung: ein Kühner macht den An-
fang, und der große Troß der Zagenden wird plötzlich, zu seinem eigenen
Erstaunen, von Muth ergriffen und eilt, sich mit jenem ersten zu ver-
einigen. Eine Menge anderer Quellen hüpften hastig ans ihrem Versteck,
verbanden sich mit der zuerst hervorgesprungenen, und bald bildeten sie
zusammen schon ein bedeutendes Bächlein, das in unzähligen Wasser-
fällen und in wunderlichen Windungen das Bergthal hinabrauscht. Da ist
nun die Ilse, die lieblicke, süße Ilse! Sie zieht sich durch das gesegnete
Jlsethal, an dessen beiden Seiten sich die Berge allmählich höher erheben,
und diese sind-bis zu ihrem Fuße meistens mit Buchen, Eichen und
gewöhnlichem Blattgesträuche bewachsen, nicht mehr mit Tannen und
anderem Nadelholz. Denn jene Blätterholzart ist vorherrschend aus den:
Unterharze, wie man die Ostseite des Berges nennt, im Gegensatze zur
Westseite desselben, die der Oberharz heißt und wirklich viel höher ist,
und also auch viel geeigneter zum Gedeihen der Nadelhölzer.
Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit und Anmuth die
Ilse sich hinunterstürzt über die abenteuerlich gebildeten Felsstiicke, die
sie in ihrem Laufe findet, so daß das Wasser hier wild emporzischt oder
schäumend überläuft, dort aus allerlei Steinspalten, wie aus tollen Gieß-
kannen, in reinen Bogen sich ergießt und unten wieder über die kleinen
Steine hintrippelt, wie ein munteres Mädchen. Ja die Sage ist wahr:
die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinab-
läust. Wie blinkt im Sonnenscheine ihr weißes Schaumgewand! Wie
flattern im Winde ihre silbernen Busenbänder! Wie funkeln und blitzen
ihre Diamanten! Die hohen Buchen stehen dabei, gleich ernsten Vätern,
die verstohlen lachend dem Muthwillen des lieblichen Kindes zusehen; die
weißen Birken bewegen sich tantenhaft vergnügt und doch ängstlich über
die gewagten Sprünge; der stolze Eichenbaum schaut drein, wie ein ver-
drießlicher Oheim, der das schöne Wetter bezahlen soll; die Vöglein in
den Lüften jubeln ihren Beisall; die Blumen am User flüstern zärtlich:
„O, nimm uns mit, nimm uns mit, lieb' Schwesterchen!" ^ ^ ,
H. Herne.
20. Thüringen.
Thüringen, du holdes Land, wie ist mein Herz dir zugewandt!
Deine Bergeshäupter ragen auf gen Himmel kühn, und stolz und auf
ihrem Scheitel tragen sie der Eichen stolzes Holz. Deiner Wälder
grüne Hallen hegen, pflegen edles Wild, und das Lied der Nachtigallen
frisch aus Busch uitb Haine quillt.
Thüringen, du holdes Land, wie ist mein Herz dir zugewandt!
Silbern springt in deinen Gründen mancher frische Labequell, und
durch deine Thäler winden Bäche sich so klar und hell, und des Rasens
Teppich breitet bunt sich zwischen Waldessaum, daß der Fuß des
Wandrers gleitet stets auf hundertfarb'gem Raum.
Thüringen, du holdes Land, wie ist mein Herz dir zugewandt!
Früh ans deinen Feldern reifet goldner Aehren Segenswucht, daß,
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