1908 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Schillmann, Hermann, Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo, Lange, Karl
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
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Schlacht im Westen und von bedrohlicher Zeit. — Lange währte
die Begrüisung, denn immer noch kamen einzelne, die sich ver-
spätet hatten, bis der Sprecher an den Häuptling trat und auf
den Stand der Sonne wies.
Da führte der Wirt seine Gäste vor die Halle, feierlich be-
traten sie im Zuge die Stufen, am Eingänge empfing sie die Haus-
frau, neben ihr stand die Tochter mit den Mägden. Ehrerbietig
huldigten die Männer den Frauen; die Fürstin reichte allen die
Hand und fragte gebührlich nach ihren Frauen und dem Haus-
stände, den Männern von der Freundschaft bot sie die Wange zum
Kusse. Die Häupter des Volkes nahmen gewichtig Platz auf den
Sesseln der Bühne und begannen ernstes Männergespräch, wäh-
rend der Schenk und die Diener in langer Reihe einzogen; diese
trugen in Holzkannen den Frühtrunk und behagliche Zukost,
weisse, gewürzte Brotkuchen und Fleisch aus dem Rauchfange.
Unterdessen rüsteten die Jungen ungeduldig auf dem
Rasengrunde vor dem Hofe die Bahn zu kriegerischem Spiele,
Die Knaben des Dorfes begannen den Kampf, damit auch
sie das Lob der Krieger erwarben; sie rannten nach dem Ziele,
sprangen über ein Ross und schossen mit dem Rohrpfeile
nach der Stange. Bald aber ergriff der Eifer die Jünglinge,
sie warfen die Speere, sie schleuderten den schweren Felsstein
und sprangen ihm nach, und als Theodulf in mächtigem Sprunge
den schwersten Stein geworfen und den weitesten Sprung getan,
klafterweit über die anderen hinaus, da erscholl lautes Jauchzen
bis zur Halle. Und die Alten und Weisen des Volkes hielt
es nicht länger auf ihren Sitzen, auch sie eilten zur Schau auf
den Rasen. Gross wurde der Ring der Zuschauer; die Weiber des
Dorfes standen in ihrem Festschmucke, gesondert die Männer, und
im Umkreise klang immer lauter der Zuruf und das Lob der Sieger.
Unter den Zuschauenden stand Ingo und achtete schweigend
auf die behende Kraft. Da trat zu ihm Isanbart, ein alter Häupt-
ling des Gaues, betrachtete ihn prüfend und begann feierlich, so
dass die Rede der anderen verstummte: „Auch in deinem Volke,
Fremdling, woher du auch stammst, übt sich wohl der junge
Krieger in Sprung und Waffen. An deinem Auge und Arme sehe
ich, dass du des Spieles nicht ganz unkundig bist, vielleicht gefällt
dir’s, unseren jungen Männern zu zeigen, was in deiner Heimat
Brauch ist, wenn du auch nicht die Kunst eines Häuptlings ver-
stehst. Bist du aus dem Ostlande, wie ich vernehme, so vermagst du
wenigstens die Holzkeule zu schwingen; auch dieser Wurf erweist
die Kraft des Mannes, obgleich meine Landgenossen ihn wenig üben.
In der Halle sah ich über dem Sitze des Wirtes ein solches Holz.“
Ingo antwortete dem ehrbaren Greise: „Wenn mir’s der Fürst
gestattet und die Häupter des Volkes, so will ich versuchen, was
ich ehedem gelernt.“