1908 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Schillmann, Hermann, Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo, Lange, Karl
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
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Stämmen, als den Westgoten, Alanen, Franken und Burgundern;
denn es galt nichts Geringeres als den Kampf einer gebildeten Welt
mit der rohen Barbarei. In der weiten Ebene, in welcher Chalons
liegt, und die von den Alten die katalaunischen Felder genannt
wird, stießen die Heere aufeinander. Als die Schlacht ihren Anfang
nehmen sollte, rief Attila die Anführer seiner Scharen zusammen
und sprach: „Nichts Gemeines ziemt mir, euch zu sagen, oder euch,
von mir zu hören. Seid Männer! Greift an, brechet ein, werfet
alles nieder! Der Römer Schlachtordnung und Schilddächer ver-
achtet; fallet auf die Westgoten und Alanen, in denen ist die Kraft
des Feindes! Müßt ihr sterben, so werdet ihr sterben, auch wenn ihr
flieht. Richtet eure Augen auf mich! Ich schreite voran, wer mir
nicht folgt, der ist des Todes." Die Schlacht war über die Maßen
hart und blutig. Schon durchbrachen die Hunnen das Mitteltreffen,
und die Römer flohen; auch die Westgoten wichen, und ihr König
fiel, indem er zu seinem Volke redete. Aber sein Tod entflammte
die Seinen zur Wut, und des Königs Sohn warf durch gewaltigen
Angriff die Feinde in die Flucht. Bei einbrechender Nacht mußte
Attila sich in seine Wagenburg zurückgehen. An 200000 Tote
und Verwundete deckten das Feld; das Blut floß in Bächen, und die
Verwundeten tranken von dem Blute, um nicht vor Durst zu ver-
schmachten. Da Attila nicht wußte, ob der Feind ihn verfolgen würde,
ließ er unzählige Pferdesättel und hölzerne Schilde zu einem Scheiter-
haufen auftürmen, um im Notfälle ihn anzuzünden und in den
Flammen zu sterben. Zugleich gebot er, um die Feinde abzuschrecken,
mit Waffen, Posaunen, Schlachthörnern und Gesang die ganze Nacht
Lärm zu machen. Doch die Feinde griffen ihn nicht an. Unter dem
dichtesten Haufen der Gefallenen suchten und fanden sie den Leichnam des
Königs und hielten ihm auf dem Schlachtfelde ein feierliches Leichen-
begängnis, unter Wehklagen und Waffengetön, geschmückt mit Hunnen-
beute, angesichts Attilas, der die Bestattung nicht zu stören wagte.
Attila kehrte uuverfolgt über den Rhein zurück. Im folgenden
Jahre machte er noch einen Raubzug nach Italien und starb kurz
nachher eines plötzlichen Todes. Betrauert und begraben wurde er
nach der Sitte des Volkes; die Hunnen zerfetzten ihre Gesichter mit
Messern und schoren sich die Haare ab. Der Leichnam wurde in
einer weiten Ebene unter einem seidenen Zelte gezeigt. Die Reiter
rannten unter dem Absingen von Attilas Taten um dasselbe herum
und priesen ihn glücklich, daß er nach unsterblichen Siegen in der
ruhmreichsteil Zeit seines Volkes ohne Schmerzen seine Laufbahn
beschlossen und sich hinüber zu den Geistern der alten Helden be-
geben habe. In der Nacht wurde er in einen goldenen Sarg ge-
legt, dieser in einen silbernen und beide in einen eisernen; Pferdezeug,
Waffen, Kostbarkeiten wurden mit ihm begraben, und darauf alle
Arbeiter am Grabe umgebracht, damit keiner verrate, wo der Hunnen-
held ruhe. Kohlrausch.
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