1900 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo, Lange, Karl
- Auflagennummer (WdK): 30
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
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nur dann zu einer Versammlung erscheinen zu wollen, wenn der
Schmutz der Strassen es gestatte.
Noch schlimmer wurde der Zustand der Strassen durch die
Schweine, die zuweilen aus den Ställen auf die Strasse gelassen
wurden und dann nach Belieben Löcher wühlten, in denen das
Regenwasser sich sammelte. Wer des Nachts durch solche
Strassen gehen musste, lief Gefahr, die Beine zu brechen; denn
eine Straßenbeleuchtung gab es noch nicht. Nur wenn der
Kaiser oder der Fürst des Landes oder sonst ein hoher Besuch
in die Stadt kam, erließ der Rat wohl den Befehl, dass jeder
Bürger des Abends eine Laterne vor seiner Hausthüre aufhängen
solle. Dann wurden wohl auch die schlimmsten Strassen ein-
geebnet und alle Straßen dicht mit Stroh belegt, damit sie einen
möglichst sauberen Anblick böten. Und der Dünger, den man
wochenlang im Freien vor den Stallthüren aufgehäuft hatte,
mußte dann aufs Feld hinausgeschafft werden.
Straßenpflaster gab es in den grösseren und reicheren
Städten erst seit dem 15. Jahrhundert; abgelegenere Gassen und
die Gassen der kleineren Städte blieben noch lange ungepflastert.
Schleusen kannte man nicht. Regenwasser und allerlei Unrat
aus Häusern und Ställen flössen auf die Strasse dahin, unerträg-
lichen Gestank verbreitend. Der Bürger legte vor seine Haus-
thüre wohl ein paar hölzerne Pfosten, um den Zugang zum
Hause zu erleichtern. Später stellte man oft wenigstens für die
Fußgänger in der Mitte der Strasse einen schmalen gepflasterten
Weg her, den sogenannten Bürgersteig.
In den schmutzigen und engen Gassen der rings von einer
Mauer eingeschlossenen Stadt fand die frische Luft der Fluren
und Wälder wenig Eingang, und so war es nicht zu verwundern,
dass in den mittelalterlichen Städten oft ansteckende Krank-
heiten ausbrachen, die Tausende von Opfern forderten.
Auch Feuersbrünste waren häufig und legten oft ganze
Städte oder Stadtteile in Asche. In den engen Strassen verbreitete
sich das Feuer leicht von einer Seite auf die andere; denn die
Häuser waren meistenteils aus Holz erbaut und mit Stroh oder
Schindeln gedeckt. Erst in der letzten Zeit des Mittelalters fing
man an, die Häuser mit Ziegeln oder mit Schiefer zu decken.
War das Erdgeschoß aus Steinen aufgeführt, so bestanden
wenigstens die oberen Stockwerke aus hölzernem Fachwerk. Nur
die Häuser der vornehmeren und reicheren Familien waren ganz
aus Stein gebaut. Feuerspritzen, wie wir sie jetzt besitzen,
kannte das Mittelalter nicht. Es gab höchstens kleine Hand-
spritzen und ausgepichte Feuereimer, mit denen die Bürger zum
Löschen herbeieilten.
3. Die Handwerker wohnten meist nach ihren Beschäftigungen
in besonderen Gassen beisammen, die dann von ihnen den Namen