1900 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo, Lange, Karl
- Auflagennummer (WdK): 30
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
132
Martin hatte fleißig studiert; was von Anlage und Geist in ihm
war, blühte jetzt fröhlich auf. Scharfsinnig und schnellen Geistes,
gewandt im Schreiben und Reden, so zog der siebzehnjährige Luther
aus Eisenach auf die hohe Schule nach Erfurt.
Emil Frommel.
68. Wie Luther das Lied dichtete: Vom Himmel
hoch, da komm' ich her.
Es war am Morgen des Tages vor Weihnachten, den wir den
heiligen Abend nennen, da steckte Luthers liebe Hausfrau, die Käthe,
ihren Kopf in das Arbeitszimmer ihres Mannes hinein. Sie war
ein wenig hitzig und fast außer Atem. „Martin," sagte sie, „ich kann
die Arbeit nicht zwingen, und ist gar viel noch zu rüsten; thu mir
die Liebe und setze dich an die Wiege des kleinen Hans, daß du
sein hütest und ich freie Hand bekomme!" Und der große Doktor,
ob er gleich aufs Fest studieren muß, der hat sich mit seiner Bibel
ganz gehorsam und geduldiglich an des Kindes Wiege gesetzt, wie
die Käthe gesagt hatte. Und wie er so hineingelugt und sein kleines
geringes, ohnmächtiges, schlafendes Kind angeschaut hot, da ist» ihm
schier übermächtig geworden im Herzensgrund. Und es hat ihn der
Gedanke bemeistert, daß der ewige Sohn des Vaters auch so ein
armes Menschenkindlein worden sei. Und bald hat er nicht anders
können, er hat die Harfe von der Wand genommen und gestimmt,
und schnell hat's fein geklungen. Dann aller Christenheit zu gute
hat er das herrliche Lied gedichtet und gesungen:
„Vom Himmel hoch, da komm' ich her,
ich bring' euch gute, neue Mär',
der guten Mär', bring' ich soviel,
davon ich singen und sagen will!"
und wie's weiter geht. Und er ist darüber so freudig geworden,
daß er sich nachher noch gar bei seiner Käthe hat bedanken müssen,
daß sie ihn an die Wiege gestellt hatte. Nach Funke.
69. Wie lieb Dr. Luther seine Kinder hatte.
1. Der kranke Vater und sein Söhnlein.
Luther war einst sehr krank; als seine Frau Käthe in die
Kammer trat, fand sie ihn ohnmächtig auf seinem Lager. Als er
wieder zu sich kam, betete er und weinte laut, dann fragte er: „Wo
ist denn mein allerliebstes Hänschen?" Als ihm das Kind gebracht
wurde, lachte es den Vater an. Da sagte der Doktor: „O du gutes,
armes Kindlein, nun befehle ich meine liebe Käthe und dich armes
Waislein meinem lieben, frommen und treuen Gott; ihr habt nichts,