1900 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo, Lange, Karl
- Auflagennummer (WdK): 30
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
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Über dreihundert, o tapfere Schar,
wo bei vier Mann ein Gefallener war!
Über dreihundert, o ritterlich Tier,
ohne den Reiter noch treu dem Panier!
Wenn ihr die Braven von Gravelotte nennt,
denkt auch der Rosse vom Leibregiment!
K. v. Gerok.
80. Vor Sedan.
Es war am 1. September 1870. Noch rang die Morgenfonne
mit dem Nebel über den Gefilden vor Sedan, aber schon schleuderten
die französischen Feuerschlünde Tod und Verderben in die Reihen der
deutschen Krieger. Mit anderen war den Sachsen der Auftrag ge-
worden, den überlegenen Feind aus seiner festen Stellung zu ver-
drängen. Ein furchtbarer Kampf entspinnt sich; die Erde dröhnt;
wie eine Berglawine stürzen sich die feindlichen Heerhaufen von den
Höhen herab ins Thal, den Deutschen entgegen. Die Sachsen haben
die ganze Wucht des Angriffes auszuhalten, aber sie weichen nicht.
Mitten im Ansturm, umschwärmt von Feindes Massen, umschwirrt
von tödlichen Geschossen, stehen sie wie Mauern. Jetzt greifen sie
selbst an; der ermüdete Feind wird in des Givonnebaches trübe Flut
gedrängt, und was in seinen Wassern nicht ertrinkt, siieht die steilen
Höhen hinan, fort gegen Daigny.
Mit stolzem Blicke schaut Kronprinz Albert auf dieses unver-
gleichliche Werk seiner Sachsen. Rasch sprengt er längs den Höhen
hin, die Lage der Seinen und die Stellung des vertriebenen Feindes
zu erforschen. Zahllose Tote und Verstümmelte bedecken die Hänge
und geben Zeugnis von der Furchtbarkeit des Kampfes. Aber dem
nachzudenken, ist jetzt nicht Zeit; es gilt, die schwer errungenen Vor-
teile auszunutzen.
Plötzlich hemmt er seines Rosses schnellen Lauf. Inmitten der
Todesschauer bietet sich ihm ein rührendes Bild dar. Kameraden
umstehen schweigend und andächtig einen jungen sterbenden Krieger.
Den linken Arm hat der blonde Jüngling auf den Tornister gestützt,
und in der Hand ruht das gesenkte Haupt. In der starren Rechten
aber hält er krampfhaft ein Bild fest, auf das der letzte Blick des
brechenden Auges sich heftet. Auf dem blassen Antlitz schwebt Glück
und Friede. Den Feldherrn rührt die stille Feier. „Wer ist es?"
fragt er leise. „Seiner Eltern einziger Sohn," wird ihm zur Ant-
wort, „ein Student aus Leipzig, der, kaum 18 Jahre alt, freiwillig
sich zum Heere stellte. Er hält in der Hand das Bild der Mutter,
bei dessen Anblick sich noch im Tode sein Angesicht verklärt." Da
nimmt Kronprinz Albert das eiserne Kreuz, das seine Brust ziert,
legt es auf des Jünglings Herz und spricht: „Er ist es wert, daß