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1. Das Vaterland - S. 236

1900 - Leipzig [u.a.] : Klinkhardt
236 nommen. Die Kerzen am Weihnachtsbaum können des Mittags um 12 Uhr im Dunkeln angezündet werden, und wer will, kann des Morgens um 6 Uhr zu Bett gehen und des Abends um 6 Uhr wieder aufstehen; es ist alles einerlei. Finster ist es und bleibt es, so daß mancher zuletzt gar nicht mehr wissen mag, ob es denn eigentlich Tages- oder Nachtzeit ist. Gewiß würden einem guten Deutschen die Thränen in die Augen treten, sollte er die Sonne auf mehrere Monate scheiden sehen. Dem Bewohner des Nordens ist dies auch nicht angenehm, und sicherlich ist große Freude, wenn die Lampe wieder ausgelöscht werden kann. Alt und jung schauen in den Tagen, wo die Sonne wieder erscheint, erwartungsvoll nach der Gegend am Himmel, wo das feierliche Morgenrot das Herannahen des lang- ersehnten Tagesgestirns verkündet. So wird der Winter hier von einer mehrere Monate langen Nacht begleitet, wogegen der Sommer durch ebensolange Gegenwart der Sonne entschädigt. So gut es aber auch dann die Sonne meint, ein Sommer in unserm deutschen Vaterlande ist mir doch lieber als im hohen Norden von Schweden und Norwegen. Zwar überziehen sich in kurzer Zeit die Thäler mit Grün, auch fehlt es nicht an Blüten mancherlei Art, und die Wärme steigert sich mit jeder Stunde, da die abkühlende Nacht nicht eintritt, — aber an Kirschen und Birnen ist nicht zu denken, ja nicht einmal an Kartoffeln; und Brot aus Roggen gilt als Leckerbissen. Wer dort wohnt, der bekommt keinen andern Vaum zu sehen als die Tanne oder die Birke, und wer aus unserm Vaterlande dorthin ziehen will, der nehme nur Abschied von den Buchenwäldern und Obstbäumen, von der Weinrebe und den Weizenfeldern. Anfangs begleiten ihn auf seiner Reise zum Eismeer hin zwar noch alte Bekannte: Apfelbäume, Birnbäume, Buchen und Eichen; aber je weiter er reist, je mehr bleibt einer nach dem andern zurück, bis er zuletzt nur noch die düstere Tanne und die zierliche Birke neben sich schaut. Aber ehe er sich's versieht, sind auch diese zu Zwergen zusammengeschrumpft, die kauernd hinter Klippen und in Schluchten Schutz suchen. Hält er noch immer nicht an in seiner Wanderung, so nehmen auch diese von ihm Abschied, und nun er- innert ihn nur noch Weideugebüsch an sein Heimatland, bis auch dieses verschwindet. Endlich überzieht noch das Heidekraut das endlose Wellenland, Moose und Flechten polstern den Boden und triumphieren als die einzig Unüberwindlichen siegreich über die Feinde alles Lebens, über Frost und Schnee. Das Blöken der Schaf- und Rindviehherden hat sein Ohr schon längst nicht mehr vernommen; schöne, kräftige Hirten hat sein Auge schon längst nicht mehr gesehen. Die Menschen, die er hier und dort etwa antrifft, kommen ihm fremdartig vor, kleiner als daheim, mit einem andern Schnitt der Kleider und einem andern Schnitt des Gesichtes. Es sind die Lappländer, mit welchen er im äußersten Norden von Schweden und Norwegen Bekanntschaft macht. Das wichtigste Tier in dieser Gegend ist das Renntier, ohne
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