1900 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo, Lange, Karl
- Auflagennummer (WdK): 30
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
237
welches der Mensch hier gar nicht leben könnte. Es gehört zu dem
Hirschgeschlecht und hat unter allen Hirscharten die gedrungenste und
kräftigste Gestalt.^ Sein Hals ist kurz und muskulös, sein Huf platt,
seine Beine sind ans starken Knochen znsammengefügt/>Der ganze
Bau dieses Hirsches ist zum Ertragen von Beschwerden, zum Ziehen
von Lasten eingerichtet. Wie kein anderes Tier weiß es sich auf
einem Boden zu ernähren, der acht Monate des Jahres mit Schnee
und Eis bedeckt ist.^Männchen und Weibchen haben Geweihe,
während bei den übrigen Hirscharten nur das Männchen auf diese
Zierde stolz sein kann. Da manche dieser Geweihe fünfzig Pfund
wiegen, so ist daraus schon zu ermessen, wie kräftig das Tier sein
muß. Hunger erträgt es ohne viele Beschwerde; Moos ist fein
Lieblingsgericht, und trotz dieser kärglichen Nahrung überwindet es
viel besser als das Pferd alle Schwierigkeiten, welche Schnee- und
Eisfelder bieten. Unglaubliches vermag es vor dem Schlitten zu
leisten. Wegstrecken, wozu der Lappe im Sommer drei Tage gebraucht,
durchläuft es im Winter in einem Tage. Nur gegen die Wärme ist
es empfindlich. Kommt daher die kurze Sommerszeit, so ist der Lappe
gezwungen, mit seinem Renntier aus den warmen Thälern auf die
Berge zu flüchten, und selbst da sucht es sich gern ein Schneefeld
zum Ruhen ans. So ist der Bewohner des Nordens von Europa
ein Nomade geworden, weil die Renntiere, welche ihm Kleidung und
Nahrung geben, Nomaden sind. Im Winter lebt er in den Thälern;
im Sommer schlügt er seine Wohnung in den Bergen auff/Birken-
stämme bilden das Gerüst, Renntierfelle die Decke des Zeltes, in
welchem nicht nur Weib, Kind und Gesinde, sondern auch die
Hunde wohnen. Diese treiben jeden Tag die Herde zum Melken zu-
sammen, und wie der Lappe keine andere Milch als die seiner ge-
zähmten Hirsche kennt, so kennt er auch kein anderes Bett als das
Fell derselben. Seine Herden sind sein einziger Reichtum, und Glück
und Unglück hängt hier von dem Besitz eines einzigen Tieres ab.
Wer Herr einer Herde von 1000 Renntieren ist, gilt für einen reichen
Mann. Wird dem Lappländer ein Kind geboren, so beschenkt er es
mit einem Renntierkalbe; bekommt es den ersten Zahn, so wird es
wieder mit einem solchen Geschenke bedacht. Gude.
139. Die lange Nacht in Hammerfest.
In Hammerfest ist die lange Nacht die Zeit der Ruhe für alles
Handelslehen. Das Wasser ist öde, die Fische haben Frieden, der
schmutzige Seelappe und der nordische Fischer liegen in Erdhütten am
qualmigen Feuer und warten dort im trägen Winterschlafe, bis der neue
Tag erscheint. Die Kaufleute in Hammerfest bringen ihre Bücher in
Ordnung, und dann sitzen sie wohl am Spieltische Tag und Nacht, halten
Bälle und Schmausereien, spielen sogar Theater und sehnen sich endlich
unruhig nach der Zeit, wo der Lichtstreif im Osten hervorbricht. In