1903 -
Berlin
: Schnetter & Lindemeyer
- Autor: ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Regionen (OPAC): Berlin
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
44
Ertönte die Abendglocke, so mußte sich der Bürger nach Hause begeben.
Während der Nacht zog die Scharwache durch die Straßen und griff
die Ruhestörer auf.
Das Leben im Hause. Die Häuser waren meist mit großen
Strohdächern versehen. Auf der Spitze befand sich nicht selten ein
Storchnest. Fenster und Schornsteine kannte man anfangs nicht. Der
vom Herd aufsteigende Rauch suchte seinen Weg durch die Tür oder
das im Dach angebrachte „Windauge". Als die Fenster auskamen,
ließ man sie im Sommer offen stehen. Im Winter wurden sie mit
Tüchern oder Stroh verstopft. Die Stuben und Kammern des Hauses
waren eng und winklig. Um möglichst viel Raum zu erhalten, ragten
die oberen Stockwerke über die unteren hinaus. Man stützte sie durch
hohe Pfeiler, so daß längs der Straße offene Gänge entstanden. Außen
am Hause sah man einen Klopfer und das Hauszeichen, nach dem
das Haus und meist auch der Besitzer genannt wurde.
Die Hauseinrichtung war einfach. Die Wände der Zimmer waren
mit Kalk getüncht. Wohlhabende Leute behängten sie bei festlichen Ge-
legenheiten mit Teppichen und Tüchern. Längs der Wände zogen sich
Bänke entlang. Sie wurden am Abend mit Kissen belegt und dienten
als Schlafstätten Bei vornehmen Familien legte man zuerst ein Laken
und dann Betten darauf. An Hausgeräten gab es noch Stühle ohne
Arm- und Rückenlehne und große Truhen für die Kleider. Auf den
Tischen standen die aus Holz oder Ton hergestellten Becher und
Teller, die später vielfach aus Zinn und Silber hergestellt wurden.
Ganz besonders beliebt war das Baden in den Badstuben. Es gab wohl
keine Stadt, die nicht ern öffentliches Bad gehabt hätte. Am frühen
Morgen gab der Bader mit dem Horn ein Zeichen, daß das Bad
bereitet sei, oder er schickte fernen Ausrufer durch die Straßen, um
zum Baden einzuladen. In den Flüssen und Seen war das Baden
von der Obrigkeit verboten. -—
Mar nährte sich von Brot, Gemüse, Hülsensrüchten, Käse
mib geräuchertem und gesalzenem Fleisch. Frisches Fleisch gab es
nur selten. An den Fasttagen lieferten die Flüsse und Seeen
wohlschmeckende Fische und Krebse. Das Brot durfte auf keinem
Tische fehlen. Alle Speisen wurden tüchtig mit Pfeffer, Muskat
und Zimt gewürzt. Da die Gabeln noch nicht bekannt waren,
so fischte man aus den Schüsseln die in der Küche mundrecht ge-
schnittenen Bissen mit den Fingern heraus. Zu den Speisen trank
man Met, Bier und gewürzten Wein. Das Bier wurde in den Haus-
haltungen selbst gebraut, und jeder Bürger hatte das Recht, selbst-
gewonnenen Wein und eigengebrautes Bier zu verkaufen. Durch die
am Hause angebrachten Kränze, Krüge und Strohbündel oder durch
Weinknechte lud man zum Trinken ein. Trotz aller Einfachheit ging
es bei festlichen Gelegenheiten, bei Hochzeiten, Kindtausen und Be-
erdigungen verschwenderisch her. Häufig mußte der Rat die Zahl