1894 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: ,
- Hrsg.: Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo
- Auflagennummer (WdK): 21
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Stadtschule, Landschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
5. Dort soll er niederknieen;
er sprach: „Das thu' ich nit;
will sterben, wie ich stehe,
will sterben, wie ich stritt,
so wie ich steh' auf dieser
Schanz';
es leb' mein guter Kaiser Franz,
mit ihm sein Land Tirol!"
6. Und von der Hand die Binde
nimmt ihm der Korporal,
Andreas Hofer betet
allhier zum letztenmal;
dannruft er: „Nun, so trefft mich recht!
Gebt Feuer! — Ach, wie schießt
ihr schlecht!
Ade, mein Land Tirol!"
v. Mosen.
106. Die Rückkehr der Franzosen aus Rußland.
In den ersten Tagen des Jahres 1813 fielen die Schneeflocken; weiß
wie ein Leichentuch war die Landschaft. Da bewegte sich ein langsamer
Zug geräuschlos auf der Landstraße zu den ersten Häusern der Vorstadt.
Das waren die zurückkehrenden Franzosen. Sie waren vor einem Jahre
der aufgehenden Sonne zugezogen mit Trompetenklang und Trommel-
gerassel, in kriegerischem Glanze und mit empörendem Übermute. Endlos
waren die Truppenzüge gewesen, Tag für Tag ohne Aufhören hatte sich
die Masse durch die Straßen der Stadt gewälzt, nie hatten die Leute ein
so ungeheures Heer gesehen , alle Völker Europas, jede Art von Uniformen,
Hunderte von Generälen. Die Riesenmacht des Kaisers war tief in die
Seelen gedrückt, das kriegerische Schauspiel mit seinem Glanze und seinen
Schrecken füllte noch die Phantasie.
Aber auch einem furchtbaren Verhängnis sah man entgegen. Einen
Monat hatte der endlose Durchzug gedauert, wie Heuschrecken hatten die
Fremden von Kolberg bis Breslau das Land aufgezehrt. Denn schon im
Jahre 1811 war eine Mißernte gewesen, kaum hatten die Landleute Samen-
hafer erspart; den fraßen 1812 die französischen Kriegspferde; sie fraßen
den letzten Halm Heu, das letzte Bund Stroh, die Dörfer mußten das
Schock Häckselstroh mit 18 Thalern, den Centner Heu mit 2 Thalern be-
zahlen. Und gröblich, wie die Tiere, verzehrten die Menschen. Vom Marschall
bis zum gemeinen Franzosen waren sie nicht zu sättigen. König Hieronymus
hatte in Glogau, keiner großen Stadt, täglich 4oo Thaler zu seinem Unter-
halte erpreßt. Die Offiziere hatten von der Frau des armen Dorfgeistlichen
gefordert, daß sie ihnen die Schinken in Rotwein koche; den fettesten
Rahm tranken sie aus Krügen, auch der Gemeine bis zum Trommler hatte
getobt, wenn er des Mittags nicht 2 Gänge erhielt; wie Wahnsinnige
hatten sie gegessen.
Schon damals indes ahnten das Volk und die Franzosen selbst, daß
sie so nicht zurückkehren würden. —
Aber, was jetzt zurückkehrte, das kam kläglicher, als einer im Volke
geträumt hatte. Es war eine Herde armer Sünder, die ihren letzten Gang
angetreten hatten, es waren wandelnde Leichen. Ungeordnete Haufen aus
allen Truppengattungen und Nationen zusammengesetzt, ohne Kommando-
ruf und Trommel, lautlos wie ein Totenzug nahten sie der Stadt. Alle