1902 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Kahnmeyer, Ludwig, Schulze, Hermann
- Auflagennummer (WdK): 31
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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leiden. Als die Feinde den letzten Taler von ihnen erpreßt hatten, kam ein
schwedischer Rittmeister und trieb ihnen noch das gesamte Vieh von der Weide
weg. (1640.) Das ganze Land verarmte, und es entstand eine furchtbare Hun-
gersnot. Das Fleisch der Katzen und Wölfe wurde ein Leckerbissen. Dazu wütete
die Pest. Es gab Gegenden, z. B. im Havellande, wo die Dörfer meilenweit
leer standen und verwüstet dalagen. Berlin hatte statt 12 000 nur noch 6000 Be-
wohner. — In dieser schrecklichen Zeit leuchtete den Brandenburgern nur ein
Hoffnungsstern. Es war der junge Kurfürst Friedrich Wilhelm.
2. Jugend. Friedrich Wilhelm wurde zu Ansang des 30jährigen Krieges
geboren. Als er 14 Jahr alt war, schickte ihn sein Vater nach Holland, damit
er sich hier in den Wissenschaften und in der Kriegskunst ausbilde. In der
Residenz Hollands, dem üppigen Haag, wollte man ihn zu einem ausschweifenden
Leben verführen. Da sagte er: „Ich bin es meinen Eltern, meiner Ehre und
meinem Lande schuldig, Haag sogleich zu verlassen." Bald darauf begab er sich
zu seinem Vetter, dem Prinzen von Oranien, der damals Statthalter von
Holland war und gerade im Felde stand. Dieser freute sich über den Jüngling
und sprach: „Vetter, Eure Flucht beweist viel Heldenmut. Wer sich schon so
früh selbst zu besiegen weiß, dem wird das Große stets gelingen."
3. Rettung seines Landes vor völligem Untergange, a. Waffenstillstand.
Als Friedrich Wilhelm die Regierung übernahm, war er fast machtlos in seinem
Lande. Immer noch lagen die Schweden darin. Um seinem Lande die Kriegslasten
zu erleichtern, schloß er einen Waffenstillstand mit den Schweden. Doch behielten sie
Pommern, das durch Erbschaft an Brandenburg gefallen war, in Besitz.
b. Bildung eines stehenden Heeres. Die wichtigste Tat des Kurfürsten war,
daß er sich ein eigenes Heer schuf. Die Offiziere in seinen Festungen hatten nämlich
nicht ihm, sondern dem Kaiser den Eid der Treue geschworen. Einige verweigerten
ihm geradezu den Gehorsam. Das mußte anders werden, wollte er Herr im Lande
sein. Er forderte deshalb, daß sich die Offiziere ihm durch einen Eid verpflichten
sollten. Das tat jedoch nur der Kommandant von Küstrin. Die übrigen Offiziere ver-
weigerten ihm den Eid. Da entließ sie der Kurfürst, löste ihre Regimenter größtenteils
auf und ließ fortan die Truppen in seinem Namen anwerben. Bis dahin waren die
Söldner (S. 12) immer nur für die Zeit des Krieges geworben worden. Der Kur-
fürst aber bildete sich ein Heer, das aus Landesangehörigen zusammengesetzt und auf
Lebenszeit geworben war. So wurde er der Gründer des ersten stehenden
Heeres in Deutschland. Anfänglich betrug sein Heer nur 3000 Mann, später 30000.
c. Zuwachs an Land und Macht. Bei den Friedensverhandlungen zu Münster
und Osnabrück machte der Kurfürst besonders seine Rechte auf Pommern geltend.
Sein Heer verschaffte auch seinen Worten Nachdruck. Doch konnte er es nicht ver-
hindern, daß die Schweden Vorpommern erhielten, dafür wurden ihm aber wertvolle
Entschädigungen zugewiesen: die Bistümer Kammin, Halberstadt und Minden
und das Erzstift Magdeburg. — Mit Hilfe seines Heeres besiegte er auch
1656 im Bunde mit den Schweden die Polen und machte dadurch das Herzogtum
Preußen von der polnischen Lehnshoheit frei.
4. Als Landesvater, a. Landwirtschaft. Bei all den Kriegsunruhen vergaß
der Große Kurfürst nicht, immerdar aufs treueste für das Wohl seines Landes und
Volkes zu sorgen. In jeder Weise suchte er dem verwüsteten Lande aufzuhelfen. Dem
Landmanne verschaffte er Vieh und Saatkorn. In die entvölkerten Gegenden zog er
Ansiedler aus Holland und der Schweiz, die den sandigen und sumpfigen Boden der
Mark in fruchtbare Felder und Gärten umwandelten. Von jedem Bauer verlangte er,
daß er bei seinem Hause einen Garten anlegte, und keiner sollte heiraten, wenn er vorher
nicht wenigstens 6 Obstbäume gepfropft und ebensoviel Eichbäume gepflanzt hätte.