1879 -
Stuttgart
: Hallberger
- Autor: ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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f)orfnm zu Schulden kommen ließ, und dieser dachte oft nicht daran, wie viel Kummer
jeder seiner Fehltritte seiner geliebten Mutter machte. In reiferen Jahren trieb Augu-
stinus mit dem angestrengtesten Eifer die Wissenschaften und wurde überall als ein aus-
gezeichneter und fleißiger Jüngling gerühmt. Aber auch dieses Lobes konnte die fromme
Monika sich nicht freuen; ihr Blick war immer nur auf das Wichtigste, auf eine
demüthige, himmlische Gesinnung gerichtet, und sie erkannte mit tiefem Schmerze, daß
ihren Sohn der Ehrgeiz und die Sucht zu glänzen trieb, und daß er die Besserung
seines Herzens ganz darüber vergaß. Und was hilft auch die ausgebreitetste Erkenntniß,
wenn der Mensch dabei sich über andere erhebt und für seine Seele zu sorgen vergißt?
Augustinus kam überdies in einen verderblichen Umgang mit zwar gelehrten, aber auf-
geblasenen und unchristlichen Menschen, und dieser Umgang entfernte ihn noch mehr
vom rechten Wege. Da konnte Monika, die ebenso zärtlich um das innere Berderben
ihres Sohnes trauerte als andere Eltern um den leiblichen Tod ihrer Kinder, den Kum-
mer nicht länger tragen und klagte ihren Schmerz einem Bischof, zu dem sie besonderes
Vertrauen hatte, mit der Bitte, er möge doch ihrem Sohne seine Irrthümer durch Gründe
benehmen. Dieser aber erwiderte: „Dein Sohn ist jetzt zu aufgeblasen, um auf Gründe
irgend eine Aufmerksamkeit zu wenden. Laß ihn in Ruhe, und fahre fort für ihn zu
beten." Dies genügte ihr aber nicht, und unter vielen Thränen bcharrte sie bei ihrer
Bitte. Da sprach der Bischof: „Laß ab, gutes Weib; es ist ja, so wahr du das Leben
hast, nicht möglich, daß ein Sohn solcher Thränen verloren gehe." Dieses Wort klang
ihr wie eine Stimme vom Himmel.
2. Dennoch schien es, als sollte Monika an ihrem Sohne noch größeres Leid er-
leben. Augustinus beschloß ncmlich nach Rom zu reisen, um dort größern Ruhm
und größere Einkünfte zu erlangen. Die Mutter fürchtete sehr, daß die Zuchtlosigkeit
der großen Hauptstadt ihn noch weiter vom guten Wege abbringen würde, und bat
ihn mit Thränen zu bleiben. Er versprach es, um sie zu beruhigen; aber in der
Nacht schiffte er sich ein. Als die sorgsame Mutter früh am Morgen ihn suchte,
war das Schiff, daö ihren Sohn hinwegführtc, bereits aus ihrem Gesichtskreise ver-
schwunden.
3. Aber ihr Weinen und Beten für ihn war denn doch nicht vergebens. Augustinus
fand in Rom kein Unterkommen, wie er es wünschte; er wurde nach Mailand gewiesen.
Dort lernte er den frommen Ambrosiuö, damaligen Bischof in Mailand, kennen. An-
fangs zog ihn nur die große Gelehrsamkeit und Beredsamkeit dieses Mannes an; bald-
abcr kam auch die Wahrheit, die Ambrosius predigte, seinem Herzen nahe. Er nahm
nun die langvergesscne Bibel wieder zur Hand, las, betete und prüfte fein Herz. Er
erkannte daraus aufs klarste, daß er ein anderer Mensch werden und sich Christo ganz,
und nngetheilt ergeben müsse, und vermochte doch nicht, sich von seinen bisher gewohn-
ten Sünden loszureißen. „Der irdische und der geistliche Wille," so schreibt er, „stritten
sich in mir und zerrißen mein armes Herz. Mir war es wie einem, der gerne vom
Bett aufstehen will, aber allemal vom süßen Schlummer überwältigt sich wieder nieder-
legt. Bald, bald! hieß es; nur noch ein wenig! Aber das Bald kam nie
und das Nur-n och-ein-w e n ig zog sich immer in die Länge." In dieser Gemüths-
stimmung machte es tiefen Eindruck auf ihn, als ein frommer Greis ihm erzählte, daß
ein gelehrter Heide, ein früherer Vertheidiger des Heidcnthums, sich zu Gott bekehrt
habe. Bald darauf hörte er von einigen vornehmen Beamten, die alle Ehre und Herr-
lichkeit dahin gegeben hätten, um Christo zu dienen. Dies brachte seine Seele in ge-
waltigen Aufruhr. „Mit verwirrtem Angesicht," so erzählt er selbst, „gicng ich zu