1879 -
Stuttgart
: Hallberger
- Autor: ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Schneefeld. Tausende und wieder Tausende kamen um. Die Kanonen, das
Gepäck, die Beute, der Raub, alles gieng verloren. In Wilna allein, wo
französische Spitäler waren, lagen 70 000 begraben, und als der nächste
Frühling die Schneedecke wegschmolz, da kamen auf russischem Boden nicht
weniger als 243 Ooo Leichen zum Vorschein. Von dem ganzen großen,
schönen Heer entkamen vielleicht nicht 50 000 Mann aus Rußland (von
den Württembergern gegen 1000). Ja fast wäre auch diesen das Ent-
kommen unmöglich geworden.
5. Als nemlich das fliehende Heer an den Fluß Beresina kam, hatten
bereits die Russen den Übergang über denselben besetzt. Wie nun diese auf
die Flüchtlinge herandrängten, da ward bald alle Ordnung aufgelöst, und
ein schreckenvoller Auftritt begann. Alles drängte sich gegen die Brücke,
welche Napoleon in der Eile hatte schlagen lassen, Fußvolk, Reiterei, Troß
und Geschütz untereinander. Jeder eilte, um der erste zu sein. Jedes mensch-
liche Gefühl verschwand vor der Sorge für das eigene Leben. Der Freund
stieß den Freund, der Gemeine den Befehlshaber zu Boden, und Fußgänger,
Reiter und Wagen zogen über die Liegenden hin. Da wurden Hunderte
zertreten, gerädert, zerstampft, Hunderte in die Beresina geworfen, welche
in ihren Fluten Leichname und Eisschollen in furchtbarer Mischung dahin-
wälzte. Ächzen und Angstgeheul, Fluchen und Toben erfüllten die Luft.
Als nun vollends an: Gestade das russische Geschütz erschien und die Kar-
tätschen unter die dichtgedrängten Haufen schmetterten, da stieg die Noth
aufs höchste. Endlich in der Nacht auf den 29. November waren die Reste
des Heeres übergesetzt; allein die Lage desselben war die furchtbarste: alle
Kriegszucht hatte sich aufgelöst, an Ordnung im Marsch dachte niemand
mehr, fast alle Soldaten warfen die Waffen weg, und jeder suchte sich vor
der stets wachsenden, schrecklichen Kälte nach Möglichkeit zu schützen. Bleich,
abgehärmt, Gerippe mit bleifarbigen Gesichtern und stieren Blicken, sinnlos,
zum Theil ohne Sprache und Gefühl wankten die Unglücklichen dahin in
den abenteuerlichsten Verkleidungen, in Weiberröcken, Priestergewändern,
Rabbinertalaren, mit Strohmatten, frisch abgezogenen Häuten und Pelzen
umhüllt. Hunderte stürzten auf dem Marsch hin, und ihre Genossen stritten
sich um die Lumpen der Gefallenen. Napoleon selbst, der Urheber all
dieses Jammers, machte sich in einem Schlitten dem fliehenden Haufen
voraus- und gieng über Wilna, Warschau, Dresden, Leipzig und Mainz in
größter Eile nach Paris. — So endete die sogenannte große Armee. Das
war Gottes Finger.